"Repräsentanz verändert alles" , Datum: 11.07.2024, Format: Meldung, Bereich: Integration

Menschen mit Migrationsgeschichte sind nur unzureichend in den Strukturen des organisierten Sports vertreten. Oft spielen sie mit – die Entscheidungen treffen aber andere. Das Projekt "Bewegte Zukunft" will das ändern. Nach drei Jahren präsentieren die Projektverantwortlichen auf der Abschlusstagung "Zukunft in Bewegung - vom Mitspielen zum Mitgestalten" die Ergebnisse.

Younis Kamil von der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD) sitzt am Techniktisch im großen Saal des "Deutschen Sport & Olympia Museums" in Köln und beobachtet, wie sich der Raum langsam füllt. Drei Jahre hat er das Projekt "Bewegte Zukunft" koordiniert, heute ist die Abschlussveranstaltung. "Auf jeden Fall ein sehr besonderer Moment für mich", sagt er.

Im Projekt "Bewegte Zukunft" geht es darum, Sport in Deutschland offener und diverser zu machen, mehr Menschen mit Migrationshintergrund einzubinden, ihre Repräsentanz in den Entscheidungsstrukturen und Gremien des organisierten Sportes zu erhöhen. Und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Das Projekt wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Mitteln des Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) gefördert.

Zusammen mit seinen Kolleginnen vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) hat Younis Kamil drei Jahre lang Kontakte zu migrantischen Sportvereinen, die sich für Integration im Sport bemühen und zu Sportlerinnen und Sportlern in ganz Deutschland geknüpft. Gemeinsam haben sie in Fokusgruppen an Lösungsansätzen gearbeitet. Woran liegt es, dass Menschen mit Migrationshintergrund in den Entscheidungsstrukturen im organisierten Sport unterrepräsentiert sind? Und wie lässt sich das ändern?

Ein Tagungsbesucher nähert sich dem Techniktisch. Younis Kamil winkt, legt seine Hand aufs Herz: "Willkommen, ich begrüße dich gleich noch mal richtig." Dann sagt er: "Als wir mit dem Projekt begonnen haben, habe ich vielen von den Leuten, die heute hier sind, etwas versprochen, das heute eingelöst werden muss", sagt er. Was hat er versprochen? "Dass unsere Forderungen und Ideen bei den Entscheidern ankommen und dass sich etwas verändern wird. Wenn das gelingt, dann schließt sich hier heute für mich ein Kreis."

Auch für Sabine Landau, Referentin für Integration beim DOSB, ist heute ein Feiertag, wie sie sagt. Sie erzählt, wie sie an einem heißen Sommertag mit einem Kollegen von der TGD den Projektantrag geschrieben habe. "Wir hatten von Anfang an ein ‚Pioniergefühl‘, den Eindruck, dass wir wirklich was erreichen können." Das habe sich schon jetzt bestätigt. "Bewegte Zukunft" sei eines der erfolgreichsten Projekte, an denen sie bisher gearbeitet habe - auch weil es Unterstützung bis in die Vorstandsetagen hinein gebe.

Der Rückenwind aus der Vorstandsetage findet sich auch auf dem Podium, wo Michaela Röhrbein, DOSB-Vorständin Sportentwicklung, Serkan Genç, stellvertretender Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland und Zakia Chlihi, Leiterin des Referats "Steuerung und Qualitätssicherung der Projektarbeit, Integration durch Sport" im BAMF die Tagung eröffnen. Letztere betont dabei: "Projekte wie ‚Bewegte Zukunft‘ sind für uns kein Selbstzweck. Wir werden die Ergebnisse genau auswerten und prüfen, was wir davon in unsere bestehenden Programme übernehmen können".

Ein Moment der Selbstvergewisserung und -bestätigung

Die Tagung erweist sich bei Weitem nicht nur als die Abschlussveranstaltung des Projektes "Bewegte Zukunft". Vielmehr ist sie für die Teilnehmenden auch ein Moment der Selbstvergewisserung und -bestätigung in ihrer Arbeit. Das zeigt sich zum Beispiel bei einer lebhaften Podiumsdiskussion in der sich die Teilnehmenden damit auseinandersetzen, ob migrantische Sportvereine als Problem oder Potential zu sehen seien und dabei auch aktuelle gesellschaftliche Debatten in der Diskussion über Migration und Integration durchscheinen.

Portraitaufnahme eines Mannes. In seinem Vortrag geht der Kinderschutz- und Präventionsbeauftragte des FC Bayern München Eric Mbarga auf das Potenzial ein, das Ereignisse wie die UEFA EURO 2024 mit sich bringen, um mehr Menschen mit Migrationsgeschichte für den organisierten Sport zu gewinnen. Quelle: BAMF | Anke Lübbert

Und es wird besonders deutlich als Eric Mbarga, Kinderschutz- und Präventionsbeauftragter vom FC Bayern München, eine eindringliche Keynote hält. Mbarga referiert über Ursachen und Folgen von mangelnder Repräsentanz migrantischer Menschen in den Entscheidungsstrukturen im Sport und beginnt bei seinen eigenen Erfahrungen als Kind und Jugendlicher in Nürnberg. Er spricht über "Racial Stress" der entstehe, wenn man keine Vorbilder finde, in denen man sich selbst wiederkenne, die damit einhergehende Assimilation, Selbstentfremdung, Frust und Wut. Repräsentanz, sagt er, ändere alles.

Während seines Vortrags herrscht konzentrierte Stille, im Anschluss lauter Applaus, fast schon Jubel. Eine große Mehrheit im Publikum hat selbst eine Migrationsgeschichte, viele hat sein Vortrag berührt, auch Edris Bahrani vom FC Mohajer Leipzig. "Man merkt, dass er diese Erfahrungen auch gemacht hat, dass er weiß, wovon er spricht. Ich fühle mich verstanden," sagt er.

Edris Bahrani und seine Teamkollegen mussten ebenfalls viele Hürden überwinden, ehe sie als Herrenmannschaft in der Liga spielen und über die Kooperation mit einem alteingesessenen Sportverein die dafür nötige Heimspielstätte vorweisen konnten. Immer mal wieder erlebt er unterschwelligen Rassismus - wenn zum Beispiel Fabian Williges, der einzige Weiße der Mannschaft, als Trainer angesprochen wird, obwohl er es gar nicht ist. Oder wenn während der Spiele Sprüche aus dem Fanbereich der gegnerischen Mannschaft fallen. "Man hat dann schon ein ungutes Gefühl, manchmal auch Angst, dass es eskaliert", sagt Edris Bahrani.

"Wenn sich im Sport viel bewegt, kann sich auch in der Gesellschaft viel bewegen"

Bei der Arbeit in einer der von Younis Kamil geleiteten Fokusgruppen war er anfangs skeptisch. "In Sachsen stehen wir vor ganz anderen Herausforderungen als die Kolleginnen und Kollegen in Westdeutschland. Ein türkischer Verein, der schon seit 40 Jahren existiert, stellt ganz andere Ansprüche, als wir. Aber heute habe ich ein richtig gutes Gefühl."

Zu den Handlungsempfehlungen der Fokusgruppen gehören Kompetenzzentren in Ostdeutschland, in denen Menschen wie Edris Bahrani diejenigen unterstützen, die einen neuen migrantischen Verein gründen wollen. Ebenso wird die Einführung einer Quote für Menschen mit Migrationsgeschichte in den Gremienstrukturen des organisierten Sports vorgeschlagen. Eine weitere Handlungsempfehlung war die Gründung einer deutschlandweiten Interessenvertretung für migrantisch geprägte Sportvereine.

Die Gründung dieser Interessenvertretung kann Younis Kamil dann auch selbst direkt auf dem Podium bekannt geben. Und nicht nur das: Als Überraschungsgast ist Otto Addo da, ehemaliger Bundesligaspieler und aktuell Trainer der ghanaischen Nationalmannschaft. Auch er hat in diesen Tagen eine Interessenvertretung gegründet. "Roots against Racism in Sports" möchte Menschen, die im Sport Rassismuserfahrungen gemacht haben, empowern. "Wenn sich im Sport viel bewegt, kann sich auch in der Gesellschaft viel bewegen", sagt er.

Text: Anke Lübbert

Hinweis

Das Bundesprogramm "Integration durch Sport" fördert die Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte am organisierten Sport durch passgenaue Angebote und vermittelt Kernkompetenzen und Werte, die in allen gesellschaftlichen Bereichen wichtig sind.

Das Projekt "Bewegte Zukunft" wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen des Bundesprogramms "Integration durch Sport" gefördert und vom Deutschen Olympischen Sportbund organisiert.


Flyer "Integration durch Sport" Format: Flyer, Dieser Download ist in weiteren Sprachen verfügbar

Dieser Flyer bietet Informationen zu den Inhalten und den Teilnahmemöglichkeiten am Programm "Integration durch Sport" (IdS).



Impressionen von der Abschlusstagung "Zukunft in Bewegung"

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