Virtuelles Integrationsprojekt , , "AugenBLICK mal!" setzt auf Virtual Reality Brillen gegen Diskriminierung
Räumlich getrennt und doch ganz nah dran. Mit Virtual Reality (VR)-Brillen setzt das Projekt "AugenBLICK mal!" auf moderne Technik gegen Diskriminierung. Gefördert wurde es vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Rahmen des Themas "Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken trotz Distanz". Auch nach dem Ende der Förderung geht es innovativ und digital weiter.
Lea Meißner steht im Bus. Über dem geöffneten grauen Mantel trägt sie einen orangen Schal, auf dem die großen goldenen Ohrringe fast aufliegen. Die Türen des Buses öffnen sich und eine Frau mit dunkler Hautfarbe steigt ein. Sie schiebt einen Kinderwagen vor sich, an der Hand hält sie ein Kleinkind. Die Türen schließen sich. "Das kann ja wohl nicht wahr sein! Immer im Weg stehen. Erst Kinder in die Welt setzen und sich dann nicht drum kümmern"
, beschimpft eine blonde Frau mit Kurzhaarschnitt die junge Mutter plötzlich "Deutsch können Sie wahrscheinlich auch nicht!"
Die Fahrgäste im Bus beobachten die Szene. Meißner steht direkt daneben. "Alle zurückschicken sollte man euch!",
wettert die Frau weiter. Trotz der immer heftiger werdenden Beleidigungen, schreitet niemand ein.
Quelle: BrückenBauen gUG
Integrationsarbeit in der Pandemie: "Es musste eine Alternative her"
Quelle: BrückenBauen gUG
Lea Meißner zieht sich die Virtual Reality-Brille vom Kopf und legt die Steuerung aus der Hand. Sie atmet einmal tief durch und streicht sich über das hellbraune Haar. "Das ist wirklich erschreckend. Alle sehen zu, doch niemand tut etwas"
, sagt Meißner. Als Besucherin einer offenen Präsentation des Projektes "AugenBLICK mal!" hatte sie die Möglichkeit über die VR-Technologie verschiedene Szenen anzusehen, die alltägliche Diskriminierung zeigen: rassistische Beschimpfungen im Bus, ein queerfeindlicher Angriff in einer Unterführung, sexistische Beleidigungen im Büro. Perspektivwechsel ermöglichen, Vorurteile und Berührungsängste abbauen, einen Beitrag gegen rassistische Diskriminierung leisten – genau das waren die Ziele von Projektleiterin Julia Halm als sie "AugenBLICK mal!" 2020 ins Leben rief. "Integrationsarbeit beruht auf Begegnung, doch das war während der Pandemie nicht möglich. Es musste daher eine Alternative her."
Hierbei wurde sie auf das Interessensbekundungsverfahren des BAMF zum Thema "Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken trotz Distanz" aufmerksam - und bewarb sich mit der Idee für ein Zusammentreffen und Dialog im digitalen Raum. Insgesamt vier Modellprojekte konnten vom BAMF zwischen 2020 und 2022 in diesem Rahmen gefördert werden. "Mit der Unterstützung des BAMF konnten wir eine Software genau nach unseren Vorstellungen entwickeln und die VR-Brillen anschaffen"
, sagt die Projektleiterin. Und auch nach der Förderung entwickelt sich das Projekt weiter.
Optimistisch in die Zukunft: "Das Projekt wächst!"
Bereits mehr als tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnte das Projekt in seiner Förderperiode erreichen. "Wir beobachten, dass die VR-Technologie auch nach der Pandemie ein attraktives Werkzeug in Workshops ist. Klassische Seminarmethoden lassen sich sehr gut auf die virtuelle Anwendung übertragen. Als Lernumgebung hat der virtuelle Raum ein großes Potenzial in der Integrationsarbeit"
, sagt Projektleiterin Julia Halm. Sie blicke optimistisch in die Zukunft. "Das Projekt wächst! Mit der Grundlage, die wir durch die Förderung haben, können wir jetzt innovativ arbeiten. Wir haben viele Buchungen und Anfragen von Schulklassen, Arbeitsgruppen und Vereinen. Durch technische Neuerungen sind wir zunehmend flexibel."
Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, die Software auch auf Englisch anzubieten, um sie europaweit Menschen zugänglich zu machen.
Quelle: BrückenBauen gUG
Handlungsstrategien für mehr Zivilcourage
"Von Diskriminierung betroffene Menschen haben uns ihre Geschichten erzählt. Die Szenen sind tatsächlich alle so passiert. Das wollen viele nicht glauben, die selbst keine Diskriminierung erfahren"
, sagt Mostafa Bazo, der drei Jahre lang beim Projekt gearbeitet hat. Auch seine eigenen Erfahrungen als Geflüchteter in Deutschland sind in projektbegleitenden Seminaren mit eingeflossen.
Bazo hat viele der "AugenBLICK mal!"-Workshops als sogenannter Vielfaltsmoderator begleitet. "Es war meine Aufgabe die Teilnehmenden nach dem Seminar aufzufangen und das Erlebte zusammen mit ihnen einzuordnen."
Er könne verstehen, dass sich viele hilflos und betroffen fühlten. "Die Perspektive der Betroffenen einzunehmen ändert häufig die Einstellung der Teilnehmenden zu Vorfällen alltäglicher Diskriminierung."
Bazo erprobte deshalb mit den Teilnehmenden Handlungsstrategien für mehr Zivilcourage und ein selbstbewusstes Eintreten gegen Diskriminierung. Sich für ein tolerantes Miteinander einzusetzen sei ihm wichtig. Auch nach dem Ende der Förderung des Projekts durch das BAMF engagiert sich Bazo daher weiter bei "AugenBLICK mal!".
"Augenblick mal! Da muss ich einschreiten!"
"Durch die VR-Brille haben es sich die Szenen sehr nah angefühlt. Ich konnte mich richtig hineinfühlen. So wird eine ganz andere Beschäftigung mit dem Thema Antidiskriminierung möglich"
, sagt Lea Meißner. Bei einer offenen Präsentation des Projektes kommen die Besucher und Besucherinnen ins Gespräch. "Die Szenen regen zum Nachdenken an"
oder "Das ist wirklich ein Projekt am Puls der Zeit"
, waren hier Reaktionen. Als Mostafa Bazo die Brillen am Ende des Tages zusammenräumt, sind diese für die nächste Woche bereits wieder auf einem Seminar gebucht. "So viele Menschen wie möglich sollen die Möglichkeit bekommen das VR-Erlebnis auszuprobieren, um dann in diskriminierenden Situationen sagen zu können: 'Augenblick mal! Da muss ich einschreiten!'"
Quelle: BAMF