Studie zum Infektionsrisiko für COVID-19-Erkrankungen , , Die Lebensumstände machen den Unterschied
Über vier Millionen Infektionen mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) wurden in Deutschland bis Oktober 2021 gezählt. Wie häufig sich Menschen mit und ohne Migrationserfahrung infiziert haben und wie hoch ihre Impfbereitschaft war, wurde in einem gemeinsamen Forschungsprojekt, der bundesweiten Antikörper-Studie "Corona-Monitoring bundesweit" (RKI-SOEP-2), untersucht. Im Interview stellen die Forschenden Laura Goßner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Dr. Manuel Siegert vom Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) die zentralen Ergebnisse vor.
Mehr als 10.000 Personen haben sich an der RKI-SOEP-2-Studie beteiligt und wurden im Zeitraum von November 2021 bis März 2022 zu Coronainfektionen und zu Impfungen gegen SARS-CoV-2 befragt. Die Ergebnisse der Studie fasst der Forschungsbericht "COVID-19-Erkrankungen und Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei Personen mit und Personen ohne Migrationserfahrung" zusammen. Demnach hatten Menschen mit Migrationserfahrung ein doppelt so hohes Risiko an Corona zu erkranken als Menschen ohne Migrationserfahrung, während die Impfbereitschaft in beiden Gruppen hoch war.
Herr Siegert, erstmalig wurden Menschen mit Migrationserfahrung beim Corona-Monitoring des Robert-Koch-Instituts (RKI) berücksichtigt. Warum war es wichtig, diese Gruppe miteinzubeziehen?
Quelle: © BAMF
Manuel Siegert (BAMF-FZ): In der Vergangenheit hatte sich gezeigt, dass bei Infektionskrankheiten ein Zusammenhang zwischen Ausbreitung und sozio-ökonomischen Ungleichheiten besteht und die persönlichen Lebensumstände das Infektionsrisiko stark beeinflussen. Menschen mit einem niedrigeren sozio-ökonomischen Hintergrund sind oft höheren Risiken einer Infektion ausgesetzt. Da Migrantinnen und Migranten in Deutschland häufiger einen geringeren sozio-ökonomischen Status aufweisen als Menschen ohne Migrationserfahrung, konnte angenommen werden, dass sie auch ein höheres Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 hatten. Studien aus Dänemark oder Schweden deuteten tatsächlich darauf hin, jedoch konnten aufgrund der unzureichender Datenlage lange keine repräsentativen Studien zu den Infektionsraten von Migrantinnen und Migranten in Deutschland vorgenommen werden. Die Studie "Corona-Monitoring bundesweit" (RKI-SOEP-2), welche wir zusammen mit dem Robert Koch-Institut, dem Sozio-oekonomische Panel am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung durchgeführt haben, kann hier Abhilfe schaffen und dabei helfen, ein differenziertes Bild des Infektions- und Impfgeschehens in Deutschland zu zeichnen.
Ihre Ergebnisse zeigen, dass das Risiko, sich mit COVID-19 zu infizieren, für Menschen mit Migrationserfahrung tatsächlich höher war. Frau Goßner, wie lässt sich das erklären?
Quelle: © PicturePeople
Laura Goßner (IAB): Bis Ende Oktober 2021 hatte unter den Personen mit Migrationserfahrung ein doppelt so hoher Anteil eine COVID-19-Erkrankung durchgemacht wie unter den Personen ohne Migrationserfahrung. Unsere Analysen zeigen, dass verschiedene sozio-ökonomische Unterschiede hierfür verantwortlich sind. Eine Rolle spielen zum Beispiel Unterschiede in der Wohnsituation. Ein Leben auf beengtem Wohnraum schränkt die Möglichkeiten ein, sich von infizierten Familienmitgliedern zu isolieren. Personen mit Migrationserfahrung leben häufiger als Personen ohne Migrationserfahrung in Mehrpersonenhaushalten oder kleinflächigeren Wohnungen, wodurch ihr Infektionsrisiko erhöht ist. Bereits aus vorangehenden Studien wissen wir auch, dass untere Einkommens- und Bildungsgruppen ein höheres Infektionsrisiko aufweisen. Da Personen mit Migrationserfahrung in Bezug auf das Bildungs- und Einkommensniveau oftmals benachteiligt sind, ist ihr Infektionsrisiko hierdurch ebenfalls erhöht. Die Berechnungen im Forschungsbericht zeigen, dass es keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Infektionsraten von Personen mit und Personen ohne Migrationserfahrung gäbe, wenn sie sich in Bezug auf sozio-ökonomische Faktoren wie diese nicht unterschieden. Nicht die Migrationserfahrung selbst, sondern erst die damit verbundenen Lebensumstände sind deshalb für die beobachtbaren Unterschiede im Infektionsgeschehen relevant.
Trotz hoher Impfbereitschaft bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zeigen sich also Unterschiede – wie erklären sich diese?
Manuel Siegert (BAMF-FZ): Zunächst ist wichtig zu sehen, dass bis Ende Oktober 2021 die deutliche Mehrheit der Personen mit als auch der Personen ohne Migrationserfahrung eine erste Impfung gegen SARS-CoV-2 erhalten hatte. Darüber hinaus waren von denjenigen, die eine erste Impfung erhalten hatten, Ende Oktober 2021 auch fast alle bereits ein zweites Mal geimpft.
Warum die Menschen mit Migrationserfahrung etwas seltener eine Erstimpfung erhalten hatten als die Menschen ohne Migrationserfahrung (87,3 Prozent gegenüber 93,5 Prozent) konnten wir nicht abschließend klären. Jedoch können wir zeigen, dass die Menschen mit Migrationserfahrung etwas später ihre erste Impfung erhalten haben als die Menschen ohne Migrationserfahrung und Erstimpfungen wurden noch bis Februar 2022 im nennenswerten Umfang verabreicht. Entsprechend kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Unterschied zwischen den beiden Gruppen bis Anfang 2022 noch verkleinert hat. Zumal ein relevanter Anteil der Ungeimpften mit Migrationserfahrung noch grundsätzlich impfbereit war.
Der geringe Unterschied bei der Zweitimpfung geht auf soziodemografische Unterschiede zwischen den beiden Gruppen sowie insbesondere den bei der Erstimpfung verabreichten Impfstoff zurück – die Menschen mit Migrationserfahrung hatten bei der Erstimpfung etwas häufiger den Impfstoff von Johnson & Johnson bekommen, bei dem man zunächst davon ausging, dass nur eine Impfdosis ausreichen würde.
COVID-19-Erkrankungen und Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei Personen mit und Personen ohne Migrationserfahrung
Im Forschungsbericht 43 werden COVID-19-Erkrankungen und Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei Personen mit und ohne Migrationserfahrung untersucht.