"Wie kann das Ankommen erleichtert werden?" , Datum: 05.05.2022, Format: Meldung, Bereich: Integration , Erste Orientierung und Sprachförderung für Geflüchtete aus der Ukraine

Fast sechs Millionen. Menschen sind laut UNHCR bis Ende März aus der Ukraine geflohen, mehr als 610.000 davon nach Deutschland, überwiegend Frauen und Kinder. Zunächst gilt es, die Geflüchteten unterzubringen und zu versorgen. Nach dem ersten Ankommen in Sicherheit sollen sie möglichst schnell Deutsch lernen können, um sich in Deutschland selbstständig zurechtfinden und einleben zu können. Uta Saumweber-Meyer, Abteilungsleiterin für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt im Bundesamt, erklärt, wie eine rasche Sprachförderung gelingen kann und welche unterschiedlichen Sprachförder- und Willkommensangebote zur Verfügung stehen.

Für Kriegsflüchtlinge, die aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, ist das Leben hier in Deutschland neu und unbekannt. Wohin können sie sich mit ihren Fragen und Bedürfnissen wenden?

Ein Porträt einer Frau Uta Saumweber-Mayer, Leiterin der Abteilung 8 (Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt) Quelle: © BAMF | Francisco Lopez

Uta Saumweber-Meyer: "Zunächst einmal an eine der zahlreichen kommunalen Informationsstellen oder die Behörde, mit der sie direkt bei der Ankunft Kontakt haben. Das Informationsportal "Germany4Ukraine" bietet gesicherte Informationen online. Für weitere Fragen und zur Orientierung steht beispielsweise das Angebot der Migrationsberatung zur Verfügung, das bundesweit durch das Bundesamt gefördert wird. Dort erhalten die Menschen Antworten insbesondere zu alltagspraktischen Fragen: Wie finde ich eine Wohnung? An welchen Arzt kann ich mich wenden? Wie finde ich Arbeit? Dazu muss nicht einmal ein persönlicher Termin stattfinden: Das kostenlose Beratungsangebot kann auch vom Handy über die App "mbeon" in Anspruch genommen werden."

Wichtig für ein Leben hier in Deutschland ist, dass sich die Menschen verständigen können. Wie können Geflüchtete aus der Ukraine möglichst rasch Deutsch lernen?

Saumweber-Meyer: "Von enormem Vorteil ist, dass die Rahmenbedingungen für den schnellen Spracherwerb vorhanden sind. 2015/16, als viele syrische Geflüchtete in Deutschland ankamen, wurden diese Voraussetzungen geschaffen. Darüber hinaus haben wir auch aus der Corona-Pandemie wichtige Lehren zum digitalen Lernen gezogen. Es werden Online-Tutorien zum Selbstlernen angeboten, die als Übergangsmaßnahmen genutzt werden können. Nichtsdestotrotz gilt es natürlich auch Herausforderungen zu bewältigen: Aktuell sind 81 Prozent der Geflüchteten Frauen und fast 40 Prozent Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Diese Frauen werden zu einem großen Teil zunächst Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder benötigen, um die Angebote wahrnehmen und Kurse besuchen zu können. Die Kinderbetreuung ist Aufgabe der Kommunen, der Bund unterstützt zusätzlich mit einem Förderprogramm speziell für den Integrationskurs. Und die Bundesländer stehen vor der Aufgabe, die Kindern in das Schulsystem zu integrieren."

Sie haben die Situation 2015/16 angesprochen, als man auf die hohe Zahl Geflüchteter zum Teil nicht gut vorbereitet war. Ehemalige Geflüchtete sind sicherlich als Experten hilfreich, wenn man aus der Vergangenheit lernen möchte. Wurden diese eingebunden?

Saumweber-Meyer: "Im Bereich der Integrationsarbeit arbeiten wir selbstverständlich mit Migrantenorganisationen zusammen, in denen häufig ehemalige Geflüchtete ehrenamtlich tätig sind. Diese sind für viele Geflüchtete wichtige erste Kontakte, da Parallelen zur eigenen Herkunft oder Fluchtgeschichte bestehen können. Daher haben wir jetzt beispielsweise auch Informationsmaterialien erstellt und an Migrantenorganisationen gegeben, damit diese ihre Community informieren können. Auch wenn die Herausforderungen 2015/2016 nicht mit der heutigen Situation vergleichbar sind, haben wir aus dieser Zusammenarbeit und den zahlreichen Gesprächen sehr viel gelernt. Zuhören und schauen, was wir in den Regelbetrieb übernehmen und was mit der derzeitigen rechtlichen Lage in Deutschland möglich ist, ist die Maxime."

Sie hatten die Kursangebote angesprochen: Welche unterschiedlichen Maßnahmen stehen Geflüchteten aus der Ukraine denn jetzt offen?

Hinweis

Mehrere Personen sitzen in einem Klassenzimmer an ihren Arbeitsplätzen. Quelle: AFi AKADEMIE

Der Bayerische Rundfunk war zu Gast bei einem Integrationskurs mit Geflüchteten aus der Ukraine.

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Saumweber-Meyer: "Einen allerersten Überblick über das Leben in Deutschland und ganz einfache Sprachkenntnisse für den Alltag vermitteln die Erstorientierungskurse. Für eine praktische Erprobung des Erlernten und um bei der Orientierung in der Umgebung zu helfen, finden darin unter anderem Exkursionen statt. Daneben gibt es die Integrationskurse, die aus einem Sprachkurs und einem Orientierungskurs bestehen. Dort lernen die Teilnehmenden die Grundlagen der deutschen Sprache, aber auch die deutsche Rechtsordnung, Geschichte und Kultur kennen. Der Integrationskurs ist kein "Crashkurs Deutsch", sondern ein nach hohen pädagogischen Qualitätsstandards angelegter, mehrmonatiger Sprachkurs. Daher legen wir großen Wert darauf, dass die Förderung für jeden Teilnehmenden passgenau und nachhaltig ist. Aufbauend auf den Integrationskursen stellen die Berufssprachkurse, die auf die Arbeitswelt in Deutschland vorbereiten, ein breites und bedarfsorientiertes Angebot dar. Daneben werden speziell für Frauen sogenannte MiA-Kurse angeboten. Die Abkürzung steht dabei für "Migrantinnen einfach stark im Alltag" – und wie der Name schon erahnen lässt, sollen die Teilnehmenden sich gegenseitig stärken, Mut machen und auch ihr Deutsch verbessern. Wichtig ist: alle Kursangebote sind für die teilnehmenden Geflüchteten aus der Ukraine kostenlos."

Die UN schätzt, dass voraussichtlich 18 Millionen Menschen von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine betroffen sein werden. Auch wenn nicht prognostizierbar ist, wie viele davon nach Deutschland kommen werden, ist dennoch mit deutlich mehr Teilnehmenden in den Integrationskursen zu rechnen. Wie wollen Sie den Geflüchteten einen schnellen Kursstart ermöglichen?

Saumweber-Meyer: "Dazu haben wir das Zugangsverfahren zum Integrationskurs für Geflüchtete aus der Ukraine extrem schlank ausgearbeitet: Auf umfangreiche Anträge, Nachweise und Prüfungen wird bewusst verzichtet. Wir gehen daher davon aus, dass Anträge für eine Kursteilnahme sehr schnell bewilligt werden können. Die Kursträger haben bereits klar signalisiert, dass sie auf den Zugang vorbereitet sind und sich bereithalten. Bislang haben wir rund 42.000 Teilnahmeberechtigungen erteilt. Nach Erhalt der Teilnahmeberechtigung muss noch ein Einstufungstest absolviert werden, um das individuell passende Kursangebot zu ermitteln, daher vergehen naturgemäß einige Wochen bis zum tatsächlichen Kursbeginn."

Stehen auch genug Kapazitäten in den Kursen zur Verfügung?

Saumweber-Meyer: "Aus unserer Sicht sind wir beim Kursangebot gut aufgestellt, um Schwankungen bei der Anzahl der Teilnehmenden auszugleichen. Derzeit sind knapp 1.500 Kursträger bundesweit zugelassen. Das konnte man schon beobachten, als die Träger ihr Angebot innerhalb eines Monats, nachdem die Öffnung der Integrationskurse für Ukrainerinnen und Ukrainer bekanntgegeben wurde, bereits mehr als verdoppelt haben. Für die nächsten drei Monate stehen nun fast 70.000 Kursplätze zur Verfügung."

Mit den Geflüchteten kommen auch jüdische Zuwandernde aus der Ukraine zu uns nach Deutschland. Wie ist deren Verfahren geregelt?

Saumweber-Meyer: "Zur Aufnahme dieser Personengruppe haben wir mit dem Bundesinnenministerium, dem Zentralrat der Juden und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) ein abgestimmtes Sonderverfahren eröffnet. Das Aufnahmeverfahren für jüdische Zuwanderer aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion wird üblicherweise an den deutschen Botschaften durchgeführt. Für Geflüchtete aus der Ukraine ist eine Antragstellung auch in Deutschland in enger Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden möglich, die sich hier in beeindruckender Art und Weise engagieren: Die jüdischen Gemeinden prüfen die Anträge und vorgelegten Unterlagen. Anschließend schicken sie den Antrag zusammen mit dem Gutachten der Zentralwohlfahrtsstelle ans Bundesamt. Wenn die Aufnahmevoraussetzungen erfüllt sind, werden wir ganz schnell eine entsprechende Aufnahmezusage erstellen."