Entwicklungen bei Geflüchteten im ersten Pandemiejahr , Datum: 28.04.2022, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Wie ist es Geflüchteten hierzulande während des ersten COVID-19-Pandemiejahres ergangen und wie haben sich ihre Sprachkenntnisse entwickelt? Erste Ergebnisse präsentiert die Kurzanalyse 2|2022 des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Wir haben mit der Autorin der Kurzanalyse, Wenke Niehues, gesprochen.

Sprache ist der Schlüssel zur Integration. So gab es auch während der COVID-19-Pandemie verschiedene Angebote zum Deutsch lernen. Doch Angebote alleine können Erfolge beim Lernen und der Integration noch nicht gewährleisten, auch das psychische Wohlbefinden ist eine wichtige Voraussetzung. Vielerorts gilt die Pandemie als eine belastende Erfahrung – doch wie haben geflüchtete Menschen sie erlebt? Die Kurzanalyse 2|2022 beleuchtet und analysiert, wie sich Deutschkenntnisse, Sorgen in zentralen Lebensbereichen und Lebenszufriedenheit bei Geflüchteten von 2016 bis 2020 entwickelt haben.

Frau Niehues, wie haben sich die Deutschkenntnisse während der COVID-19-Pandemie bei Geflüchteten entwickelt?

Eine Frau lächelt in die Kamera. Wenke Niehues Quelle: © privat

Wenke Niehues: Im Pandemiejahr 2020 gaben das erste Mal mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) an, dass sie über "gute" bis "sehr gute" Deutschkenntnisse verfügt. Da Sprachkenntnisse für vielfältige Integrationsprozesse eine wichtige Voraussetzung sind, freut uns dies sehr. Betrachtet man allerdings die Entwicklung der durchschnittlichen Sprachkenntnisse über die Zeit, fällt auf, dass die Sprachzuwächse bei Geflüchteten kürzer nach Ankunft von 2016 bis 2018 stärker ausfallen und dann ab 2018 beginnen abzuflachen. Der geringere Zuwachs an mittleren Deutschkenntnissen während des ersten Pandemiejahres könnte zum einen auf die vielen Einschränkungen während der Pandemie zurückzuführen sein; fast wahrscheinlicher ist aber, dass es sich hierbei um einen bereits bekannten Prozess während des Erwerbs einer Zweitsprache handelt. So ist aus der Forschung zum Zeitspracherwerb bereits bekannt, dass die Lernkurve nach einem starken Anstieg zu Beginn des Spracherwerbs abflacht.

Und wie sieht es mit den Sorgen der Geflüchteten im besagten Zeitraum aus?

Niehues: Um herauszufinden, ob Sorgen bei Geflüchteten über die Jahre – und insbesondere während der Pandemie - zugenommen haben, habe ich untersucht, wie sich die Anteile an Geflüchteten mit "großen Sorgen" in Bezug auf die Bleibeperspektive, die eigene wirtschaftliche Situation und ihre Gesundheit über die Jahre entwickelt haben. Interessanterweise hat sich hierbei gezeigt, dass ein Anstieg an stark besorgten Geflüchteten während des ersten Pandemiejahres weitestgehend ausgeblieben ist. Lediglich unter geduldeten Geflüchteten gaben 2020 mehr Personen als 2019 an, dass sie sich starke Sorgen um ihre Gesundheit machen.

Was hat Sie bei Ihrer Untersuchung besonders überrascht?

Niehues: Neben der Entwicklung der Sprachkenntnisse und Sorgen, habe ich mir auch die Veränderung der durchschnittlichen Lebenszufriedenheit über die Zeit angesehen. Aus der bisherigen Forschung wissen wir, dass durchschnittliche Lebenszufriedenheiten im Zeitverlauf recht stabil sind, sich dies aber bei kritischen Ereignissen – wie beispielsweise einer Pandemie – ändern kann. Ich hätte erwartet, dass die Lebenszufriedenheit bei Geflüchteten während des ersten Pandemiejahres abgenommen hat. Dies hat sie aber nicht. Im Gegenteil, von 2019 auf 2020 hat sie sogar statistisch signifikant zugenommen. Dieser überraschende Befund spricht dafür, dass Geflüchtete das erste Pandemiejahr alles in allem ganz gut bewältigen konnten. Allerdings trifft dies auch nicht auf alle Geflüchteten gleichermaßen zu. Denn auch wenn 2020 27 Prozent der Geflüchteten höhere Zufriedenheitswerte angaben als in 2019, blieben bei 56 Prozent die Zufriedenheitswerte zwischen 2019 und 2020 weitestgehend unverändert und weitere 17 Prozent waren 2020 sogar weniger zufrieden als 2019. Zudem ist es gut möglich, dass im weiteren Verlauf der Pandemie oder, wenn wir die Lebenszufriedenheit in einer Zeit mit strikteren Coronamaßnahmen gemessen hätten, die mittlere Lebenszufriedenheit auch bei Geflüchteten niedriger wäre als noch in den Vorpandemiejahren. Analysen mit Daten aus zukünftigen Jahren werden mehr Aufschluss darüber geben, ob diese positive Entwicklung auch im weiteren Pandemieverlauf bestehen bleibt.

Datenbasis

Die Kurzanalyse 2|2022 "Entwicklung der Deutschkenntnisse, Sorgen und Lebenszufriedenheit bei Geflüchteten während des ersten COVID-19-Pandemiejahres" basiert auf der fünften Erhebungswelle der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten. Seit 2016 werden jährlich wiederkehrend Personen befragt, die von 2013 bis 2016 nach Deutschland eingereist sind und einen Asylantrag gestellt haben. Anhand des Vergleichs der Daten aus der fünften Erhebungswelle mit Daten aus dem Vorjahr lassen sich Veränderungen während des ersten Pandemiejahres abbilden. Die Daten der fünften Erhebungswelle wurden zwischen August 2020 und Februar 2021 erhoben und fallen somit in die zweite Hälfte des ersten COVID-19-Pandemiejahres.



Deutschkenntnisse, Sorgen und Lebenszufriedenheit bei Geflüchteten im ersten Pandemiejahr Format: Kurzanalyse, Dieser Download ist in weiteren Sprachen verfügbar

Die BAMF-Kurzanalyse 2|2022 untersucht, wie sich zwischen 2016 und 2020 die Deutschkenntnisse, Sorgen und Lebenszufriedenheit bei Geflüchteten entwickelt haben. Bei den Analysen wird ein besonderer Fokus auf die Entwicklungen während des ersten COVID-19-Pandemiejahres gelegt.