Umsetzung des Virtuellen Klassenzimmers:
erste Praxiserfahrungen
, Datum: 12.05.2020, Format: Meldung, Bereich: Integration

Das Unterrichten im Virtuellen Klassenzimmer kann sowohl für die Teilnehmenden als auch für die Lehrkräfte der Berufssprachkurse sehr herausfordernd sein. Online zu lernen und zu lehren bietet zugleich viele Chancen. Frau Barbara Brauckmann, Geschäftsführerin der Privaten Berufsakademie für Aus- und Weiterbildung Passau gGmbH, berichtet über Ihre ersten Erfahrungen mit dem Virtuellen Klassenzimmer und gibt praktische Anregungen und Tipps zur Umsetzung von virtuellen Lernangeboten.

Seit wann setzen Sie den Unterricht im Virtuellen Klassenzimmer um?

Wir haben für unsere C1-Kurse (C1-Basiskurs und C1-Spezialkurs für Akademische Heilberufe) zum 09.04.2020 den Unterricht im Virtuellen Klassenzimmer aufgenommen und beabsichtigen aufgrund des positiven Feedbacks seitens der Teilnehmenden, ab 23.04.2020 auch unseren B2-Basiskurs vorerst im Virtuellen Klassenzimmer fortzuführen.

Da wir aufgrund der Regierungsbeschlüsse wegen der Corona-Pandemie den Präsenzunterricht einstellen mussten und unsere Teilnehmenden deshalb bereits seit 16.03.2020 keinen Unterricht mehr hatten und das BAMF infolgedessen die Möglichkeit der Fortführung der Kurse im Virtuellen Klassenzimmer eröffnet hatte, entschieden wir uns nach Rücksprache mit unseren Teilnehmenden diese Herausforderung anzunehmen.

Wie setzen sich die Kurse zusammen?

Über die Hälfte der Kursteilnehmenden im C1-Basiskurs stammt aus Syrien. Weitere Herkunftsländer sind Afghanistan, Bulgarien, Brasilien, Irak und Pakistan. Die Teilnehmenden sind im Alter

von 22 bis 54 Jahren und haben in ihren Heimatländern als Bauingenieure, Arzt, Apothekerin, Rechtsanwalt, Veranstaltungskaufmann, Tourismuskauffrau sowie Näherin gearbeitet. Ein Teilnehmer besucht den Kurs parallel zu seiner Ausbildung zum Kaufmann für Marketingkommunikation, die jüngeren Teilnehmenden streben eine Ausbildung an. Ein Teil des Kurses kann nur über Smartphone am Unterricht teilnehmen. Teilnehmende mit Kindern müssen teilweise mit familiären Störungen während des Unterrichts umgehen. Einige von ihnen haben nach dem Unterricht aus familiären bzw. Ausbildungsgründen kaum Zeit für eigenständiges Vor- und Nachbereiten des Unterrichtsstoffs. Sie sind darauf angewiesen, so viel wie möglich aus dem Unterricht mitzunehmen.

Die Teilnehmenden im aktuellen C2-Spezialkurs für Akademische Heilberufe sind etwas jünger, eigenständiges Arbeiten gewöhnt und haben teilweise auch schon Online-Unterricht-Erfahrung. Außerdem sind sie technisch gut ausgestattet.

Wie setzen Sie das Unterrichten im Virtuellen Klassenzimmer unter Berücksichtigung der BAMF-Vorgaben um?

Im Virtuellen Unterricht gelten für die Teilnehmenden die gleichen Regeln wie für den Präsenzunterricht: Pünktlichkeit; Anwesenheitspflicht und -kontrolle zum Unterrichtsbeginn (dokumentiert durch Screenshot der Teilnehmerliste der Videokonferenz); Abmeldung bei Teilnahmeverhinderung spätestens 15 Minuten vor Unterrichtsbeginn telefonisch oder per E-Mail; Bescheid geben bei Verlassen des virtuellen Arbeitsplatzes (zum Beispiel bei kurzfristiger Abwesenheit) und bei Rückkehr durch kursintern festgelegte Emojis im Chat. Dadurch, dass die Teilnehmenden bei der Bearbeitung von Übungen ständig abwechselnd aufgerufen werden, sind sie gezwungen, aufmerksam und aktiv mitzuarbeiten.

Welche Lerninhalte und -formen kommen zum Einsatz? 

Genauso wie im Präsenzunterricht orientieren sich die Inhalte und unsere Arbeitsweise an den pädagogischen Konzepten. So ist es uns auch im Virtuellen Klassenzimmer wichtig, den Unterricht abwechslungsreich zu gestalten, indem wir verschiedene Methoden zum Einsatz bringen.

Die Teilnehmenden sind nicht gezwungen, einem stundenlangen Lehrervortrag zu folgen, sondern können aktiv ins Unterrichtsgeschehen eingebunden werden, indem man sie einzeln aufruft und sie ihre Fragen auch direkt stellen und beantwortet bekommen können. Ebenso ist es uns möglich, sie in Kleingruppen oder Teams zusammenarbeiten zu lassen und ihnen auch bei diesen Sozialformen hilfreich zur Seite zu stehen. Methodisch unterstützen kann man das aktive Sprechen, indem man die Teilnehmenden auf extra für Gruppenarbeitsphasen eingerichtete Kanäle aufteilt und sie dort in Kleingruppen zusammenarbeiten lässt. Die Effektivität ist aber nicht vergleichbar mit einer analog durchgeführten Gruppenarbeit.

Wie gestalten Sie den Lernprozess und die Lernumgebung?

Die Lernumgebung ähnelt, mit Ausnahme der physischen Nähe zu anderen Teilnehmenden und der Lehrkraft, der des Präsenzunterrichts mit Tafelbild, Lese- und Hörverstehenübungen sowie dem mündlichen Austausch vor allem innerhalb von Gruppenarbeitsphasen. Schreibübungen werden jedoch ausgelagert und müssen nach dem Unterricht als Hausaufgabe erledigt werden.

Wir haben uns für Microsoft Teams entschieden, da an den Berufsfachschulen unserer Einrichtung bereits mit diesem Programm gearbeitet wird und von dieser Seite Hilfestellung bei der Einführung gegeben werden konnte. Mit Microsoft Teams ist es uns also möglich, den Unterricht so ähnlich wie unseren Präsenzunterricht aufzubauen und zu halten, jedoch benötigt man aufgrund der anders gelagerten Kommunikationswege mehr Zeit, weshalb man also langsamer mit dem Stoff vorankommt. Damit man Erklärungsphasen sowie begleitete und eigenständige Übungsphasen einbauen und den Teilnehmenden außerdem genug Zeit zur aktiven Anwendung des neuen Wortschatzes und neuer Grammatik untereinander ermöglichen kann, benötigt man einen entsprechenden Zeitrahmen.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Durchführung von Virtuellen Klassenzimmern? Wie konnten diese bewältigt werden? 

Da wir bis dahin keinerlei Erfahrung mit Unterricht im Virtuellen Klassenzimmer hatten, sahen wir uns mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert.

Technische Herausforderungen

Nachdem wir die technischen Voraussetzungen unserer Teilnehmenden erfragt hatten, entschieden wir uns in Rücksprache mit unseren Datenschutz- und IT-Experten für die Verwendung von Microsoft Teams. Die Kursräume wurden so angepasst und ergänzend ausgestattet, dass ein effizientes Arbeiten unter Einbeziehung von Tafelbildern in unseren Unterrichtsräumen auch im Virtuellen Klassenzimmer ermöglicht wurde. Ebenso wurden teilweise private Räumlichkeiten von Lehrkräften entsprechend hergerichtet, um auch aus dem Homeoffice unterrichten zu können.

Um den Unterricht nach einer über vierwöchigen Unterbrechung so schnell wie möglich wiederaufnehmen zu können, war es notwendig, uns innerhalb kurzer Zeit in Microsoft Teams einzuarbeiten. Zu bewältigen war dies durch die tatkräftige Unterstützung unserer IT-Spezialisten, verschiedene Online-Tutorials und einen regen Austausch unter den Lehrkräften und das Arbeiten in einem von uns eigens dafür angelegten ,,Experimentierkurs“, in dem wir die verschiedenen, uns wichtigen Unterrichtsmethoden sowohl aus der Sicht der Lehrkräfte als auch der Teilnehmenden ausprobieren konnten.

Nachdem die Zugänge für die Teilnehmenden angelegt waren, wurden diese ihnen zusammen mit einer entsprechenden Datenschutzinformation zugesendet.

Eine weitere Herausforderung war es, den Teilnehmenden den Umgang mit dem ihnen unbekannten Programm aus der Ferne zu vermitteln. Um ihnen die wichtigsten Informationen für den Start des Virtuellen Klassenzimmers verständlich zu machen, erhielten sie per E-Mail auch ein von uns Lehrkräften erarbeitetes, mit anschaulichen Screenshots versehenes Einführungsdokument für Microsoft Teams.

Ebenso hatten wir für uns Lehrkräfte einen Ablaufplan für den ersten Kurstag erarbeitet, an dem wir sowohl die verschiedenen Programm-Funktionen virtuell vermittelten, als auch die Verhaltens- und Kommunikationsregeln im Virtuellen Klassenzimmer erklärten und begründeten. Eine besondere Herausforderung dabei waren die unterschiedlichen Ansichten von Desktop- und Handyversion, sowie die Tatsache, dass sich einige Teilnehmenden nicht die deutsche Version runtergeladen hatten und demzufolge nur schwer den Erklärungen folgen konnten. Mit Geduld und gegenseitigem Coachen auch der Teilnehmenden untereinander konnten diese Anlaufschwierigkeiten erfolgreich gemeistert werden und es blieb sogar noch Zeit für den ersten richtigen Unterricht im Virtuellen Klassenzimmer.

Als problematisch gestalten sich manchmal die technischen Voraussetzungen der Teilnehmenden. So kommt es ab und zu bei einigen Teilnehmenden zu Ausfällen, weil die Internetverbindung überlastet ist. Des Weiteren ist zu beobachten, dass es für die Teilnehmenden, die über einen Computer am Virtuellen Klassenzimmer teilnehmen wesentlich einfacher und komfortabler ist, dem Unterrichtsgeschehen zu folgen, als für die Teilnehmenden, die nur über Smartphone teilnehmen können. Beispielsweise hat man als Computernutzer Lehrkraft mit Tafelbild und Chat gleichzeitig im Blick, während man am Smartphone immer hin- und herwechseln muss.

In beiden Kursen verfügt fast niemand über einen Drucker, sodass hochgeladene Materialien/Arbeitsblätter nicht ausgedruckt werden könnten. Auch deshalb halten wir uns wie im Präsenzunterricht maßgeblich an die Inhalte und Aufgaben in den von uns eingesetzten Büchern. Schreib-aufträge werden entweder zu Papier gebracht, mit dem Smartphone abfotografiert und uns per E-Mail zugesendet oder am Computer geschrieben und als Word-Dokument verschickt.

Unterrichtstechnische/Pädagogische Herausforderungen

Auch wenn wir bisher aus beiden Kursen durchweg positives Feedback erhalten haben, selbst von anfangs kritischen Teilnehmenden, die eigenen Angaben zufolge, schon schlechte Erfahrungen mit Online-Unterricht gemacht hatten, so sehen wir doch gerade in der unterrichtstechnischen Umsetzung große Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, um unserem Qualitätsanspruch gerecht zu werden.

So bietet das Virtuelle Klassenzimmer nur eine sehr begrenzte Möglichkeit zur echten Interaktion, welche aus unserer Sicht die Basis eines erfolgreichen Sprachunterrichts darstellt. Bewältigung auf diesem Bereich ist nur begrenzt möglich, indem die Lehrkraft bewusst darauf achtet, dass möglichst viele Teilnehmende die Gelegenheit bekommen, die Zielsprache aktiv zu benutzen, also zu sprechen.

Außerdem mussten wir feststellen, dass die Effizienz eines Sprachkurses im Virtuellen Klassenzimmer deutlich niedriger ist als beim Präsenzunterricht, da Erklärungen, Verständnisfragen, Rückfragen und Reaktionen deutlich mehr Zeit erfordern. Das Tempo ist aufgrund der anderen Kommunikationswege deutlich langsamer. Beispielsweise sei hier die Aktivierung von Vorwissen genannt. Daher ist man immer wieder gezwungen, stark zu selektieren und an sich sinnvolle Übungen wegzulassen, wodurch die Gefahr besteht, dass der Lernerfolg in einem Sprachkurs bei gleichem Stundenumfang im Virtuellen Klassenzimmer geringer ist als im Präsenzunterricht.

Generell ist es notwendig, die Teilnehmenden zu noch mehr Selbstdisziplin und eigenständigem Vor- und Nacharbeiten zu motivieren, wobei vor allem unter den derzeitigen Umständen auch keine Chancengleichheit gewährleistet werden kann. Weder die technischen Voraussetzungen (Internetgeschwindigkeit, Speicherplatz, nur Smartphone als Medium) noch die sozialen Verhältnisse (Kinderbetreuung, keine ruhige Lernumgebung während des Unterrichts, nur ein verfügbares Gerät in einer Familie) sind auf gleichem Niveau. Für manche Teilnehmenden ist somit der Unterricht im Virtuellen Klassenzimmer eine wirklich große Herausforderung und trotzdem sind sie dankbar dafür.

Welche Chancen bietet das Lernen und Lehren im Virtuellen Klassenzimmer für die Zielgruppe sowie für die Kursträger?

Den größten Vorteil des Unterrichts im Virtuellen Klassenzimmer sehen wir darin, dass die Teilnehmenden die Chance haben, ihren Lernprozess, wenn auch in eingeschränkter Form, tatsächlich fortzusetzen und nicht nur bereits bekannte Strukturen und bekannten Wortschatz zu wiederholen und zu festigen. Dadurch, dass wir außerdem bemüht sind, den Unterricht ebenso methoden- und abwechslungsreich zu gestalten, wie sie es von unserem Präsenzunterricht gewohnt waren, fällt das Lernen und Lehren entsprechend leichter, als wenn man sie zum Beispiel nur über Lernplattformen mit Übungen ,,füttern“ und diese dann korrigieren würde.

Für den Kursträger bietet sich dank des Virtuellen Klassenzimmers unter den aktuellen Umständen die Möglichkeit, die Kurse weiterzuführen und somit auch die Lehrkräfte weiterhin beschäftigen zu können.