In Küche, Kulturverein und Kindergarten , , Projekt "Ehrenamt als Chance" vermittelt Geflüchtete ins Ehrenamt
Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich in ihrer Freizeit für andere Menschen und setzen sich für gesellschaftliche Themen ein. Ihnen gilt der Internationale Tag des Ehrenamts, der jedes Jahr am 5. Dezember begangen wird. Dass man durch ein Ehrenamt nicht nur viel gibt, sondern auch selbst einiges zurückbekommt, diese Erfahrung machen auch zahlreiche Geflüchtete. Guillermo Ruiz Torres leitet das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) geförderte Projekt "Ehrenamt als Chance Treptow-Köpenick" in Berlin, das Geflüchtete in ehrenamtliche Tätigkeiten vermittelt. Im BAMF-Interview stellt er das Projekt vor und erklärt, warum er das Ehrenamt für einen Erfolg hält.
Herr Ruiz Torres, seit rund drei Jahren beraten, vermitteln und begleiten Sie mit Ihrer Organisation "Sozialfabrik e. V." Geflüchtete mit Bleibeperspektive beim Ehrenamt. Wie kam es zu der Idee?
Guillermo Ruiz Torres leitet das vom BAMF geförderte Projekt
Quelle: privat
Guillermo Ruiz Torres: Für viele Geflüchtete ist es schwierig, Kontakt zur Aufnahmegesellschaft herzustellen – und sie leiden unter der Eintönigkeit ihres Alltags. Wir wollten Geflüchteten eine Möglichkeit bieten, damit sie aus ihrer Isolation herauskommen, andere Menschen kennenlernen – und sich auch als ein Teil der Gesellschaft fühlen.
Das Thema Ehrenamt schien dafür ideal, auch wenn wir anfangs auf viel Skepsis gestoßen sind. Ob Geflüchtete nicht andere Sorgen hätten, wurden wir gefragt. Aber mittlerweile ist das Projekt wunderbar angelaufen. Wir haben bereits 55 Personen vermittelt – und weitere zehn bis 15 warten noch coronabedingt auf eine Einsatzstelle. Insgesamt arbeiten wir mit über 40 Einrichtungen zusammen.
Zum Start haben wir Vereine, Verbände und Organisationen abgeklappert, um geeignete Stellen zu finden. Auch haben wir für die Vermittlung in Asylbewerberheimen geworben. Dabei hatten wir sogenannte Kulturmittler an unserer Seite, die zum Beispiel auf Farsi und Arabisch das Thema Ehrenamt vorgestellt haben. Dann haben wir einen Termin mit den Interessierten ausgemacht. Mittlerweile ist es ein Selbstläufer geworden. Über Mund-zu-Mund-Propaganda kommen die Menschen nun oft auch direkt auf uns zu.
Wie kann man sich die Vermittlung genau vorstellen? Wie beraten, vermitteln und begleiten Sie die Ehrenamtlichen?
Guillermo Ruiz Torres: Wenn Geflüchtete Interesse haben an einem Ehrenamt, dann kommt es zum ersten Gespräch. Sie sagen, in welchem Bereich sie sich gerne engagieren würden – und dann versuchen wir, die passende Einsatzstelle zu finden.
Sehr beliebt ist das Einsatzfeld Küche und Nachbarschaftskantine. Aber auch Kulturvereine, Kindergärten, Seniorenheime, Holzwerkstätten und Sportvereine sind gefragte Partner. Vom Co-Trainer beim Fußballverein bis zum ehrenamtlichen Kinderpfleger kann man sich vielfältig einbringen.
Auch die Vereinslandschaft wird dadurch bunter.
Bei der Auswahl der Einrichtungen haben wir große Unterstützung der Freiwilligenagentur im Bezirk Treptow-Köpenick. Außerdem haben wir selbst Akquise gemacht und nach geeigneten Stellen gesucht, je nach Interesse der Ehrenamtlichen. Viele der Vereine und Verbände hatten davor kaum Kontakt zu Geflüchteten. Und so haben nicht nur die Geflüchteten die Gelegenheit, sich zu engagieren. Auch die Vereinslandschaft wird dadurch bunter.
Geflüchtete wie Mohamadi Davood können sich durch das Projekt "Ehrenamt als Chance" einbringen. Er arbeitet ehrenamtlich beim Verein "Kultur Leben Berlin", der nicht verkaufte Kulturplätze kostenlos an finanziell Schwache vermittelt.
Quelle: Mario Asef
Wir kümmern uns zudem um eventuell nötige Papiere für das Ehrenamt – zum Beispiel ein Gesundheitszeugnis. Außerdem bieten wir Seminare an für Einrichtungen, die Geflüchtete als Ehrenamtliche aufnehmen – um sie zu sensibilisieren: Was bewegt Geflüchtete, welche kulturellen Hintergründe bringen sie mit? Auch für die Geflüchteten selbst bieten wir Seminare: Wir sprechen mit ihnen über die deutsche Gesellschaft, machen Stadtführungen. So können sich auch die Ehrenamtlichen untereinander austauschen, voneinander lernen und gleichzeitig etwas über das Leben und die Geschichte in Deutschland und in Berlin erfahren.
Welche Vorteile bietet das Ehrenamt den Beteiligten?
Guillermo Ruiz Torres: Für beide Seiten ist das Ehrenamt eine große Chance. Wobei wir bei der Auswahl sehr darauf achten, dass es nicht einen regulären Arbeitsplatz ersetzt, sondern zusätzlich Unterstützung bietet.
Die Geflüchteten wollen Menschen treffen. Sie kommen nicht nur in Kontakt untereinander, sondern lernen auch gebürtige Deutsche kennen. Im Austausch mit ihnen können sie ihre Sprache verbessern. Und sie können etwas Sinnvolles tun, sich einbringen in ihre Gemeinde, in ihre Stadt, in die Gesellschaft. Und durch das Ehrenamt lernen sie auch die Gesellschaft besser zu verstehen und sich ein wenig mehr zu Deutschland und Berlin zugehörig zu fühlen.
Und die Vereine und Verbände bekommen dafür motivierte Leute aus unterschiedlichen Kulturen, die sich tatkräftig einbringen und so bereichernd wirken.
Beim Ehrenamt geht es aus meiner Sicht um gegenseitige Unterstützung. Es entsteht ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit auf beiden Seiten.
Inwiefern beeinflusst die Coronapandemie Ihr Projekt?
Guillermo Ruiz Torres: Leider stellt die Pandemie einen Einschnitt dar. Einige Vereine können keine Ehrenamtlichen mehr aufnehmen. Andere haben den Dienst auf unbestimmte Zeit pausieren müssen. Ein Projektteilnehmer aus dem Irak war etwa in einem Fair Trade Laden sehr gut integriert. Da der Laden aber zu klein ist, können sich nicht so viele Leute gleichzeitig dort aufhalten.
Was aber gut weiterläuft, wenn stellenweise auch digital – das ist unsere Begleitung. Wir stehen nach wie vor für Beratung zur Verfügung. Außerdem treffen wir uns einmal die Woche digital zum Austausch. Und alle drei Wochen bieten wir eine Onlineveranstaltung rund um die Geschichte und Politik Deutschlands an. Leider sind die Rahmenbedingungen nicht gut, da viele nur über Handy dabei sind und oft eine schlechte Verbindung haben. Aber wir machen das beste daraus.
Haben Sie ein, zwei Beispiele für den Erfolg des Projekts?
Guillermo Ruiz Torres: Ja, es gibt viele Beispiele. Allgemein kann man sagen, dass die Geflüchteten nach zwei bis drei Monaten anfangen, selbstbewusster zu werden. Da ist der junge Mann, der kaum deutsch konnte, in einer Kantine arbeitete und ich mich nach zwei Monaten sehr gut mit ihm unterhalten konnte. Er hat selbst sehr gestrahlt dabei.
Viele unserer Teilnehmenden haben eine Arbeitsstelle gefunden. Einer war ehrenamtlich als Pflegehelfer im Einsatz, hat danach ein Praktikum als Krankenpfleger gemacht. Nun macht er eine Ausbildung als Labortechniker. Ein Freiwilliger hat in einer Galerie gearbeitet, hat geholfen die Bilder umzustellen und die Ausstellung zu begleiten. Er macht nun eine Ausbildung als Küchenhilfe, ist aber weiter in seiner Freizeit künstlerisch tätig.
Die meisten Geflüchteten wollen sich in die Gesellschaft einbringen.
Und viele wollen versuchen, trotz Traumatisierungen ihr Leben auf die Beine zu stellen. Das ist bewundernswert und wir wollen das unterstützen.