"Fußballspielen war für mich ein Befreiungsschlag" , Datum: 06.04.2020, Format: Meldung, Bereich: Integration

Tuğba Tekkal (35) spielte sieben Jahre lang als Profi-Fußballerin für den 1. FC Köln in der Bundesliga und setzt sich nun dafür ein, dass Mädchen und junge Frauen durch Sport gestärkt werden. Anlässlich des Internationalen Tag des Sports am 6. April hat sie mit uns über den Sport und seine positiven Einflüsse auf die Integration gesprochen.

Tuğba Tekkal ist jesidisch-kurdischer Herkunft, ihre Eltern kamen in den Siebzigerjahren aus Diyarbakır im Südosten der Türkei nach Deutschland. Sie selbst ist hier geboren und aufgewachsen. Ihre Leidenschaft für den Fußball entdeckte sie schon früh, doch es war ein langer Weg, bis sie diese zum Beruf machen konnte. Als Profi-Fußballerin spielte sie jahrelang für den 1. FC Köln in der Bundesliga der Frauen. Mit ihrem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geförderten Projekt SCORING GIRLS Bildung unterstützt Tekkal erfolgreich Mädchen, die eine ähnliche Geschichte haben wie sie. Das Vorhaben ging aus dem Vorgängerprojekt SCORING GIRLS hervor, das seit 2016 von der Stiftung des 1. FC Köln und BILD hilft e.V. "Ein Herz für Kinder" gefördert wird.

Mit SCORING GIRLS bieten Sie Mädchen und jungen Frauen seit 2016 die Möglichkeit auf kostenloses, regelmäßiges Fußball-Training. Welche Idee steckt dahinter und welche Erfolge gibt es zu feiern?

Tekkal: 2015 haben meine Schwester und ich die Hilfsorganisation "HAWAR.help" gegründet, die jesidische Frauen und Kinder aus IS-Gefangenschaft unterstützt. Um dem Land, das mir so viel ermöglicht hat, etwas zurückzugeben, habe ich hier in Deutschland die SCORING GIRLS ins Leben gerufen. Die Umsetzung war anfangs alles andere als leicht, denn viele der Eltern waren absolut dagegen. Ich habe mit Mädchen aus Herkunftsländern zusammengearbeitet, die nicht einmal im Traum daran denken durften, Fußball zu spielen. Doch nach und nach ließen sich die Eltern überzeugen. Heute sind sie sehr stolz auf ihre Töchter. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich das positive Gefühl und die Stärke, die die Mädchen durch die Treffen und das Training erfahren, auf die ganze Familie übertragen. Ich möchte ihnen zeigen, dass sie alles erreichen können und es sich lohnt, für die eigenen Träume zu kämpfen. Und das funktioniert: Mädchen, die mir mal erzählt hatten, sie wollen als Arzthelferin arbeiten, sagen mir heute, sie wollen Ärztin werden.

Wie können Sportarten wie Fußball Menschen mit Fluchterfahrung oder Migrationshintergrund bei der Integration unterstützen?

Tekkal: Viele Menschen mit Fluchtgeschichte oder mit Migrationshintergrund haben das Gefühl, nicht dazuzugehören, selbst wenn sie in Deutschland aufgewachsen sind. Dieses Gefühl abgehängt zu sein, trifft auch auf viele deutsche Kinder zu – beispielsweise wegen fehlender finanzieller Mittel oder der Zuordnung zu einer bestimmten sozialen Schicht. Durch die Teilnahme an Sportangeboten können wir diesen Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl geben und so ihr Selbstbewusstsein stärken.

Vier Mädchen in Fußballtrikots stehen auf einem Spielfeld und umarmen sich. Das Projekt SCORING GIRLS bietet Mädchen die Möglichkeit auf kostenloses, regelmäßiges Fußballtraining. Quelle: BAMF | Jacqueline Wardeski

Beleidigungen gegen einzelne Spieler und rassistische Sprechchöre – gerade im Fußball ist Fremdenfeindlichkeit ein großes Problem, das leider immer wieder auftaucht. Was muss getan werden, damit Rassismus endgültig aus Stadien und von Sportplätzen verschwindet?

Tekkal: Meiner Meinung nach müssen Spielerinnen und Spieler, Vereine und Verbände dafür unbedingt an einem Strang ziehen. Es ist nun schon mehrmals vorgekommen, dass Spieler, die einer Beleidingung ausgesetzt waren, von den Mitspielern überredet worden sind, trotzdem weiterzuspielen. Dabei kann es doch einfach nicht sein, dass einzelne Fußballer, die sich auf dem Feld gegen rassistischen Angriffe äußern, Angst haben müssen, keine Lobby hinter sich zu haben. Wenn es zu einer rassistischen Beleidigung kommt, sollte die ganze Mannschaft geschlossen und konsequent vom Platz gehen.

Frau Tekkal, als Jugendliche haben Sie auf dem Bolzplatz gekickt, später spielten Sie sogar in der Frauenfußball-Bundesliga. Welche Bedeutung hat der Sport für Sie persönlich?

Tekkal: Seit ich klein war, wollte ich im Verein spielen. Doch meine Eltern haben mir das Fußballspielen verboten, einfach nur weil ich ein Mädchen war. Gleichzeitig hatte ich aber auch in der Schule das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören und habe für mich keine Perspektiven gesehen. Mit 16 durfte ich endlich doch anfangen, im Verein zu kicken. All das, was ich beim Fußball gelernt und erlebt habe – auch an Anerkennung – habe ich auf den schulischen Bereich übertragen und einen ganz anderen Ehrgeiz entwickelt. Dadurch konnte ich mich von zu Hause befreien und bekam das Gefühl, ein selbstbestimmtes Leben zu führen – und auch meine schulischen Leistungen haben sich verbessert. Ab diesem Zeitpunkt haben sogar meine Eltern das Fußballspielen akzeptiert. Als ich Jahre später meinen ersten Profi-Vertrag unterschreiben durfte, ist für mich natürlich ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.

Die Auswirkungen durch das Corona-Virus auf den gesamten Sportbereich sind schon jetzt groß: Die Fußball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele werden 2020 nicht stattfinden. Sport in Zeiten von Corona – geht das?

Tekkal: In Zeiten der Digitalisierung ist es ja über Plattformen wie YouTube oder Instagram einfach möglich, Online-Workouts zu machen. Dort bieten viele Personen oder sogar auch Städte solche virtuellen Trainingseinheiten an. Ich kann das nur empfehlen, um sich fit zu halten, sich abzulenken oder auch, um den Kopf frei zu bekommen. Wir haben hier einen Gemeinschaftsgarten, da stehe ich im Moment oft und mache mit meinen Nachbarn Sport – ich mache eine Übung vor und sie machen diese nach. Auch meinen SCORING GIRLS habe ich natürlich gesagt, dass sie sich fit halten sollten. Doch für ein Mädchen, das mit seiner großen Familie auf engem Raum in einer Flüchtlingsunterkunft lebt, kann selbst ein Online-Workout schwer umsetzbar sein. So lange es allerdings erlaubt ist, alleine draußen joggen zu gehen, ist das natürlich weiterhin eine gute Option.

Mehr Informationen über das Projekt SCORING GIRLS und SCORING GIRLS Bildung erhalten Interessierte unter "Beiträge" oder auf der Homepage des Projektträgers (siehe "Links").