Vorschulische Betreuung aus Sicht muslimischer Eltern , Datum: 19.12.2017, Format: Meldung, Bereich: Behörde , Interview mit der Autorin der Studie

In Deutschland hat sich vorschulische Kinderbetreuung mittlerweile als fester Bestandteil der frühkindlichen Bildung etabliert. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr hat sich in den letzten Jahren die Quote der noch nicht schulpflichtigen Kinder, die eine Kindertagesstätte (Kita) besuchen, kontinuierlich erhöht. Die Deutsche Islam Konferenz hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beauftragt, im Rahmen der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland (MDL 2016)" zu untersuchen, wie vorschulische Kinderbetreuung von muslimischen Eltern angenommen wird. Anja Stichs, Mitautorin der Studie, erklärt die wichtigsten Ergebnisse.

Wie viele Kinder aus muslimischen Familien besuchen vorschulische Kinderbetreuungsangebote?

Ein grundlegendes Ergebnis unserer Studie ist es, dass die meisten Kinder aus muslimischen Familien vor Schuleintritt eine Kita besuchen. Wir haben im Rahmen unserer Befragung von 2.045 muslimischen Religionsangehörigen 336 Familien mit 431 Kindern im Alter von unter sechs Jahren erreicht. 61 Prozent der Kinder waren in einer Krippe oder einem Kindergarten angemeldet. Das genaue Alter der Kinder spielt hierbei natürlich eine wichtige Rolle. So werden Kinder von unter drei Jahren überwiegend zuhause betreut (16 Prozent). Von den Vier- bis Fünfjährigen gehen hingegen über 90 Prozent in eine Kita. Es ist also davon auszugehen, dass viele der kleinen noch zu Hause betreuten Kinder später in einer Kita angemeldet werden.

Ordnet man die Ergebnisse in den Forschungsstand ein, deuten unsere Analysen darauf hin, dass sich muslimische Eltern sehr ähnlich verhalten wie nicht-muslimische Eltern mit Migrationshintergrund. So ist aus der amtlichen Statistik bekannt, dass Kinder im Krippenalter mit Migrationshintergrund deutlich seltener in einer Kita betreut werden als gleichaltrige Kinder ohne Migrationshintergrund. Bei den drei- bis fünfjährigen Kindern unterscheidet sich die Betreuungsquote kaum. Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass muslimische Kinder ebenso wie Kinder mit Migrationshintergrund tendenziell später in einer Kita angemeldet werden als Kinder, die keinen Migrationshintergrund haben. Daraus ergibt sich, dass sie bis zum Schuleintritt weniger Jahre in der Kita verbringen als Kinder ohne Migrationshintergrund.

Entscheiden sich religiöse muslimische Eltern seltener dafür, ihr Kind in einer Kita anzumelden?

Wir haben untersucht, welche Faktoren beeinflussen, ob Angebote der vorschulischen Kinderbetreuung genutzt werden. Betrachtet wurden Merkmale, die sich auf Lebenssituation der Familie beziehen, so etwa der Wohnort, der sozioökonomische Status oder familiäre und migrationsspezifische Aspekte. Weiterhin wurden mit dem Grad der Gläubigkeit des befragten Elternteils sowie dem Geschlecht des Kindes zwei Indikatoren berücksichtigt, die mit Erziehungsvorstellungen in Verbindung gebracht werden. Die Analysen zeigen, dass neben dem Alter des Kindes vor allem der Erwerbsstatus der Mutter die Betreuungsquote beeinflussen. Beides sind Merkmale, die sich auch bei Kindern aus nicht muslimischen Familien auf die Wahrscheinlichkeit eines Kitabesuchs auswirken. Die selbst eingeschätzte Gläubigkeit des befragten Elternteils hat hingegen keinen Einfluss. Gleiches gilt für das Geschlecht des noch nicht schulpflichtigen Kindes. Mädchen aus muslimischen Familien werden bei sonst gleichen Voraussetzungen ebenso häufig in einer Kita angemeldet wie Jungen.

Was ist muslimischen Eltern an einer Kita besonders wichtig?

Besonders wichtig sind muslimischen Eltern Angebote, die die Teilhabechancen der Kinder verbessern und das gesellschaftliche Miteinander stärken. So sind 96 Prozent der befragten muslimischen Eltern sehr oder eher dafür, dass in vorschulischen Kinderbetreuungseinrichtungen die deutschen Sprachkenntnisse gefördert werden. Ein ebenso hoher Anteil hält es für wichtig, dass in der Kita Kontaktmöglichkeiten zu Kindern ohne Migrationshintergrund bestehen. Kriterien, die die Beachtung religiöser und kultureller Besonderheiten betreffen, werden ebenfalls als wichtig erachtet. Sie erscheinen jedoch weniger vordringlich als die zuvor gennannten Merkmale, die die Entwicklungschancen der Kinder betreffen. 84 Prozent der muslimischen Eltern finden es wichtig, dass es in der Kita ein Angebot an muslimischen Speisen gibt, 70 Prozent sprechen sich für das Feiern muslimischer beziehungsweise alevitischer Feste aus. In der Gesamtschau weisen die Ergebnisse darauf hin, dass sich muslimische Eltern vor allem heterogen zusammengesetzte Kindergruppen wünschen, in denen ein religions- und kultursensibler Umgang gepflegt wird. Abgrenzungstendenzen lassen sich nicht erkennen.

Die komplette Studie und Informationen zum Projekt "Muslimisches Leben in Deutschland 2016" stehen in der rechten Spalte zur Verfügung.