Dossier: Reintegration in Kosovo , Datum: 20.09.2017, Format: Dossier, Bereich: Rückkehr , Reintegrationsprojekt

Vor Ort: Ein Tag im Feld , Datum: 20.09.2017, Format: Meldung, Bereich: Rückkehr

Zu zweit besuchen die URA-Berater die Rückkehrenden in ihrer alten-neuen Heimat. Arbeitsberater Erol Kirkul und Sozialberaterin Bardha Celaj fahren am Tag 300 Kilometer durch ein Land im Aufbau.

Ortsbesuch am Rande einer mittelgroßen Stadt in West-Kosovo in der Nähe der Stadt Prizren. Bardha Celaj und Erol Kirkul, Sozialberaterin und Arbeitsberater des URA-Projekts, suchen eine sechsköpfige Großfamilie auf, die vor wenigen Wochen nach Kosovo zurückgekehrt ist und jetzt durch das URA-Projekt gefördert wird. Zusammen sind Bardha Celaj und Erol Kirkul eines der drei Zweier-Teams, die im wöchentlichen Wechsel mit anderen Kolleginnen und Kollegen in Pristina die Neuankommenden und Hilfesuchenden beraten oder wie heute für Hausbesuche "ins Feld" fahren. Das Feld ist in diesem Fall das Land Kosovo; heute fahren die beiden Berater durch den westlichen Landesteil. Am Ende des Tages werden Celaj und Kirkul vier Familien in ihren Wohnstätten aufgesucht und fast 300 Kilometer im Auto zurückgelegt haben.

Bei den Hausbesuchen geht es wie allgemein bei URA um emotionale und ganz pragmatische Hilfe. Gemeinsam entwerfen Beratende und Geförderte einen Plan, wie der Neustart in Kosovo gelingen kann. Bardha Celaj hat Psychologie studiert und erkundet im Gespräch die emotionale Verfassung der betreuten Familien. Erol Kirkul ist auf Arbeitsvermittlung spezialisiert und inspiziert bei den Hausbesuchen auch schon mal mit einem Familienvater eine Holzverarbeitungsmaschine – kein schlechtes Werkzeug in Kosovo, um Geld zu verdienen.

Vor dem heutigen Ortsbesuch bei der erst kürzlich zurückgekehrten sechsköpfigen Familie sitzen die beiden Berater in einem Wohngebiet am vereinbarten Treffpunkt mit dem Familienvater, der von dort aus den beiden den Weg zum neuen Wohnort der Familie weist. Die Hausbesuche kündigen die URA-Mitarbeitenden erst eine bis eine halbe Stunde an, bevor sie vor Ort eintreffen – mit gutem Grund: Reintegration kann nur gelingen, wenn der gemeinsame Plan realistisch ist und auf die Personen oder Familien individuell zugeschnitten wird. Fakt ist: Es gibt einzelne Rückkehrende, die für sich mehr Förderung als nötig beanspruchen möchten und ihre Situation schlechter inszenieren, als sie ist. Genauso gibt es aber auch die Fälle, in denen Klienten aus falschem Stolz echte Not verbergen wollen. Dies gilt es, vor Ort herauszufinden.

Beim heutigen Besuch der Familie geht es vor allem um die Wohnsituation. Über nicht befestigte Feldwege geht es an den Stadtrand. Hier dominieren kleine Siedlungen, Felder von Selbstversorgern und das Panorama der bis Mai schneebedeckten Gipfel der albanischen Alpen das Bild. Das Einfamilienhaus, das die Familie derzeit nach langer erfolgloser Suche vorübergehend bezogen hat und mietet, ist eine Bauruine. Es ist nicht verputzt, die Elektrizität liegt bloß – das allein ist in Kosovo nichts Ungewöhnliches. Nur das Erdgeschoss ist bewohnbar. Die Waschmaschine steht im Treppenhaus und markiert die Grenze zwischen dem bewohnbaren und dem unbewohnbaren Teil. Möbel hat die Familie kaum, alle schlafen in einem Raum.

Das größte Problem: Obwohl das Haus kaum bewohnbar ist, ist es für die Familie zu teuer. Die Familie muss zügig nach einer neuen Bleibe suchen und ist dabei auf die Netzwerke von URA angewiesen. Die gute Nachricht: Die Kinder gehen auch in der neuen alten Heimat wieder zur Schule. Auch dabei haben die URA-Mitarbeitenden die Rückkehrenden unterstützt. Letztere haben an die Beraterinnen und Berater viele Fragen: Wie melde ich meine Kinder in der Schule an? Was brauche ich dafür? "Oft sind es die kleinen Hilfen, die einen großen Unterschied machen", fasst Bardha Celaj zusammen. Bei sehr schwierigen emotionalen Situationen können die URA-Mitarbeitenden an Naim Basha, den Trauma-Psychologen des URA-Zentrums, verweisen. Bei der Familie aus der Nähe von Prizren stehen heute aber nur Alltagsfragen an: Welche Behördengänge sind für uns gerade wichtig? Welche Dokumente brauchen wir noch aus Deutschland? Welche Fristen dürfen wir auf keinen Fall verpassen? Was steht uns an staatlicher Unterstützung zu? Wo werden wir bei chronischen Krankheiten medizinisch versorgt? Die URA-Beraterinnen und -Berater sind häufig mit derlei Fragen konfrontiert, denn ein Teil der Rückkehrenden hat jahrelang nicht mehr in Kosovo gelebt haben und ist mit dem Land kaum (noch) vertraut.

Bei dem heutigen Ortsbesuch der sechsköpfigen Familie ist das anders. Sie fallen in eine Kategorie von URA-Geförderten, die es in den vergangenen Monaten neben den ehemaligen Bürgerkriegsflüchtlingen häufiger gibt: Mit falschen Vorstellungen des Asylrechts in Deutschland haben sie Kosovo verlassen und vorhandenes Hab und Gut, das sie im Kosovo hatten, verkauft. Sie alle suchen jetzt mit Hilfe von URA einen Neustart – mit Hilfe der Brücke, die ihnen Beraterinnen und Berater wie Bardha Celaj, Erol Kirkul und Naim Basha bauen.

(te)

Blätterfunktion

Inhalt

  1. Eine Brücke zurück in die Zukunft
  2. Ankunft am Flughafen
  3. Die Brückenbauer
  4. Vor Ort: Ein Tag im Feld
  5. "Meine Klienten sind Helden"
  6. URA ist ein Projekt, das lebt.
  7. Enge Zusammenarbeit mit allen Akteuren