Dossier: Sicherheit im Asylverfahren ,
Von der Ankunft bis zur Entscheidung: Sicherheit immer im Fokus ,
Wer als Schutzsuchender nach Deutschland einreist, muss sich unmittelbar bei oder nach der Ankunft bei einer staatlichen Stelle melden. Mit der Äußerung eines Asylgesuchs beginnt nicht nur offiziell das Asylverfahren, sondern auch ein umfangreicher Prozess zur Identitäts- und Herkunftsklärung. In den Aufnahmeeinrichtungen, in denen Neuankommende zunächst untergebracht werden, arbeiten die zuständigen Behörden dabei von Anfang an direkt vor Ort engmaschig Hand in Hand.
Am Rand einer Wohngegend liegt die Bamberger Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerbende. Hellgelbe, zweistöckige Wohnhäuser mit blauen Balkonen strecken sich die kleinen Straßen entlang, zwischendrin große Rasenflächen, ein Spielplatz. Auf dem eingezäunten Gelände einer ehemaligen US-Kaserne im Osten der Stadt ist Platz für etwa 1.500 Menschen vorgesehen, die hier von der Regierung Oberfranken für eine Erstunterbringung einquartiert werden. Ebenfalls auf dem Gelände: die Außenstelle Bamberg des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Etwa 75 Mitarbeitende des BAMF sind hier beschäftigt, darunter 23 Entscheiderinnen und Entscheider. Sie sind für die Durchführung der Anhörungen und die Entscheidungen im Asylverfahren zuständig.
Vor dem Hauseingang stehen einige Bewohnerinnen und Bewohner. Ein Schild neben der Tür weist daraufhin, dass in diesem Häuserblock das Bundesamt untergebracht ist. In ihrem Zimmer sitzt an diesem Morgen Christel Grenzer, Mitarbeiterin im Asylverfahrenssekretariat, und startet eine Aktenanlage. "Wir werden jetzt gemeinsam Ihren Asylantrag bearbeiten und die bisher vorliegenden Daten abgleichen"
, sagt sie ruhig und lächelt aufmunternd. Vor ihr sitzt ein junger Iraker in weißem Rollkragenpullover. Seine Hände umklammern einen Stapel Unterlagen, alle sorgfältig in Klarsichthüllen sortiert.
Zuerst lässt Christel Grenzer klären, in welcher Sprache der Dolmetscher mit dem jungen Mann sprechen soll. "Kurdisch? Arabisch? Können Sie alles verstehen? In welcher Sprache können Sie lesen?"
Der Dolmetscher übersetzt, der junge Iraker nickt, Christel Grenzer tippt alle Angaben in ein Formular auf ihrem PC. Dann prüft sie den herübergereichten Ankunftsnachweis, klärt eine Abweichung in der Schreibweise des Namens auf dem Papier und in ihrem Computerformular, vergleicht den Antragstellenden mit dem Foto in der Datei. Der Mann reicht ihr eine Kopie aus seinem Stapel. "Wo haben Sie denn Ihren Original-Pass?"
, will Grenzer wissen. Der sei per Post aus dem Irak auf dem Weg hierher, übersetzt der Dolmetscher. Seine Staatsangehörigkeitserklärung habe er bei der Registrierung abgegeben, lässt der Iraker wissen. Grenzer nickt: "Die bekommen Sie nach Abschluss des Asylverfahrens natürlich zurück."
Sicherheitschecks bei der Ankunft
Seit knapp zwei Monaten ist der junge Mann in Bamberg. Nach seiner Einreise habe er sich selbst in der Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf gemeldet und ein Asylgesuch geäußert. Ausgestattet mit einer sogenannten "Anlaufbescheinigung" wurde er dann nach Bamberg weitergeleitet. Hier folgten Sicherheitschecks und die Klärung der Personalien. Zum Standardprogramm der Aufnahmeeinrichtung gehört bereits am Eingangstor eine Gepäckdurchsuchung auf gefährliche Gegenstände, aber auch die kurzfristige Überlassung von Handys, Tablets und Notebooks.
Die Registrierung und Aufnahme in die Einrichtung ist Landessache. Ein Warteraum mit schlichten Holzbänken und vielen Informationsplakaten an den Wänden ist für alle Ankommenden die erste Station nach ihrer Ankunft. An einem Anmeldeschalter werden Fingerabdrücke genommen und ein Foto gemacht. Ein Pass oder Staatsangehörigkeitsnachweis wird zur Prüfung auf Echtheit und bis zum Abschluss des Asylverfahrens einbehalten, ein eventuell vorhandenes Visum ebenfalls in die Registrierungsakte übernommen. Die aufgenommenen Daten werden im Ausländerzentralregister gespeichert. Zudem findet unmittelbar ein Abgleich der neu aufgenommenen Daten mit bereits vorhandenen Daten des Ausländerzentralregisters sowie Daten verschiedener Sicherheitsbehörden statt. Mit Hilfe des europaweiten Systems "Eurodac" wird anhand der Fingerabdrücke außerdem ermittelt, ob bereits in einem anderen EU-Mitgliedsstaat eine Registrierung oder Asylantragstellung stattgefunden hat.
Quelle: BAMF
Jede neue Bewohnerin und jeder neue Bewohner der Aufnahmeeinrichtung erhält nach dem Registrierungsprozess einen Ankunftsnachweis und einen Hausausweis. Neben der von der Landesbehörde immer durchgeführten Gesundheitsuntersuchung gehört in Pandemiezeiten auch ein PCR-Test zu den ersten Formalitäten. Im Anschluss steht der Prozess der weiteren Identitätsklärung und Asylantragsstellung in der Außenstelle des Bundesamtes an. "Viele Antragstellende haben keinen Ausweis dabei, nur ein Foto davon auf dem Handy"
, weiß Christel Grenzer. Schon bei der Aktenanlage, und falls notwendig erneut in der persönlichen Anhörung, werde aber jeder Antragstellende eindringlich aufgefordert, wenn immer möglich Originale der Personaldokumente zu beschaffen und vorzulegen. Denn: Asylantragstellende sind verpflichtet, ihre Identität nachzuweisen, etwa mittels Nationalpass und Geburtsurkunde. Alle Originaldokumente werden vom Bundesamt mittels physikalisch-technischer Urkundenuntersuchung (PTU) auf ihre Echtheit überprüft.
Technische Unterstützung bei der Identitätsprüfung
Liegen keine Personaldokumente vor, die die Identität und Herkunft eines Asylantragstellenden belegen, werden zusätzliche Maßnahmen zur Identitätsprüfung ergriffen. "Identität und Herkunft sind zentrale Bestandteile des Asylverfahrens"
, sagt Peter Immeler, Leiter der BAMF-Außenstelle Bamberg. "Viele Migrantinnen und Migranten weisen jedoch keine entsprechenden Identitätspapiere vor, wodurch die Identitätsfeststellung deutlich erschwert wird. Um die zuständigen Mitarbeitenden bei dieser zu unterstützen, wurden im Bundesamt technische Instrumente geschaffen, die Hinweise für eine valide Bewertung der Angaben zu Herkunft und Identität liefern. Die abschließende Entscheidung über den Asylantrag trifft natürlich der Mitarbeitende."
Konkret werden vom BAMF neben weiteren technischen Assistenzsystemen zum Beispiel Entwicklungen in der Sprachbiometrie genutzt, um z.B. gesprochene arabische Großdialekte zu erkennen und sie bestimmten Regionen zuzuordnen. Die Antragstellenden geben eine Sprechprobe ab, anschließend analysiert das System diese Probe und errechnet die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Sprache tatsächlich gesprochen wird.
Christel Grenzer stellt dem Antragsteller Fragen zu seinen persönlichen Daten. Dazu gehören z.B.: Gibt es Verwandtschaft in Deutschland? Volkszugehörigkeit? Religionszugehörigkeit? Geburtsort? Wann war die Ersteinreise in Deutschland? Der junge Iraker zögert: "Ich war sehr müde. Es war am 28., oder vielleicht doch am 29."
Die Mitarbeiterin hakt nach, vergleicht gespeicherte Daten mit den Aussagen des Mannes, tippt in den PC. Im Laufe ihrer Befragung lässt sie sich die Familienverhältnisse im Irak beschreiben, sucht in gespeicherten Datensätzen nach der bereits in Deutschland lebenden Verlobten, vergleicht Fotos auf dem Handy des jungen Mannes und Ausweiskopien mit den bereits vorhandenen Daten, die ihr Computer ausspuckt. Sie notiert sich Angaben zur Schulbildung und zur wirtschaftlichen Situation des jungen Irakers und fragt nach den Gründen für seine Ausreise nach Deutschland.
Schließlich erfolgt eine detaillierte Befragung zur Fluchtroute, die so genannte Reisewegsbefragung. Türkei, Belarus, Polen, Deutschland, zählt der 22-Jährige auf. Grenzer will wissen, wie lange genau er sich wo aufgehalten habe, welche Verkehrsmittel er benutzt hat. Ein Schleuser habe ihn von Belarus aus versteckt in einem Kleintransporter nach Berlin gebracht. "Haben Sie in Belarus oder Polen Asyl beantragt? Haben Sie irgendwo Fingerabdrücke angegeben?"
Der Mann schüttelt den Kopf, verneint. Durch Polen seien sie ohne anzuhalten durchgefahren.
Während der Dolmetscher mit dem Antragstellenden anschließend noch einmal alle Angaben in seinem Asylantrag auf Korrektheit und Vollständigkeit prüft, rattert neben Christel Grenzer der Drucker. Sie druckt dem jungen Mann Informationsmaterial aus. Ein paar Tage später wird der Antragsteller einen Ausweis ausgehändigt bekommen: die Aufenthaltsgestattung. Diese bescheinigt, dass er das Recht hat, sich in Deutschland aufzuhalten, während das Verfahren für seinen nun förmlich gestellten Asylantrag läuft. Sie weist ihn offiziell als Asylantragsteller aus und belegt gleichzeitig seine Residenzpflicht. Ohne behördliche Erlaubnis darf er das Bamberger Stadtgebiet vorerst nicht verlassen.
In der Anhörung zählt jedes Detail
Im Anhörungsraum bei Kilian Lieb sitzt zur gleichen Zeit an diesem Morgen ein junger Syrer. Dieser hat heute den wichtigsten Termin in seinem Asylverfahren: die persönliche Anhörung. In den kommenden Stunden wird er dem Entscheider des Bundesamtes seine Fluchtgeschichte vortragen und die Gründe darlegen, warum er Schutz in Deutschland beantragt. Die Aufgabe von Kilian Lieb: das Einzelschicksal des Syrers in allen Einzelheiten zu durchleuchten, um zu prüfen, ob eine der vier Schutzformen – Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot – zum Tragen kommt.
Zu Beginn lässt Lieb den Dolmetschenden mit dem Antragsteller seine Personalien durchgehen und hakt nach, ob der Syrer den Dolmetscher gut versteht. "Haben Sie in Ihrem Heimatland Personalpapiere besessen? Und wenn ja: Wo befinden sich diese Dokumente jetzt?"
, möchte der Entscheider von dem jungen Mann wissen. Seinen Reisepass habe er bei seiner Registrierung bei Ankunft in der Aufnahmeeinrichtung abgegeben. Seinen Personalausweis reicht er Kilian Lieb herüber. Dann nestelt er an einer Aktenmappe vor sich auf dem Tisch, zieht eine Kopie des Familienstammbuchs aus der gut sortierten Mappe. "Und ihr Wehrdienstbuch?"
"Das ist noch in Syrien."
Kilian Lieb tippt ins Anhörungsprotokoll an seinem PC, blickt prüfend auf den Ausweis, legt ihn mit der Kopie in eine Mappe. "Ok. Bitte versuchen Sie alles erdenklich Mögliche, um sich diese Dokumente im Original nach Deutschland schicken zu lassen"
, lässt er anschließend über den Dolmetscher erklären. "Sie bekommen dafür jetzt eine Frist von … drei Wochen. Ok? Drei Wochen, ich denke, das ist machbar."
In der Anhörung folgt eine detaillierte Abfrage zu persönlichen Daten und zur Ausreise: Wie lautet Ihre letzte offizielle Adresse in Syrien? Mit wem haben Sie dort gelebt? Wo haben Sie sich vor Ihrer Ausreise aufgehalten? Wann haben Sie Syrien verlassen? Entscheider Kilian Lieb fragt und tippt ins Protokoll, was der Dolmetschende aus den knappen Antworten des Antragstellers, der ihm mit verschränkten Armen gegenübersitzt, übersetzt. Zu Fuß sei er aus seinem Heimatdorf in Syrien in den Irak aufgebrochen. Aus dem irakischen Erbil ging es dann mit dem Flugzeug weiter nach Beirut, von dort nach Dubai und schließlich nach Belarus. Über die Grenze nach Polen sei er dann zu Fuß gekommen – und von dort mit einem Auto bis nach Deutschland. "Vielleicht"
, sagt der Antragstellende, "ja, vielleicht seien bei seiner Gruppe auch Schleuser dabei gewesen."
Und die etwa 11.000 Euro Reisekosten? "Hat mein Vater mir gegeben."
Quelle: BAMF
In den folgenden zweieinhalb Stunden lässt sich Kilian Lieb die Namen der Eltern des Geflüchteten Buchstabe für Buchstabe aufschreiben, befragt den Antragstellenden zu seinen Geschwistern und seinen Großeltern, zu seiner Schulbildung, dem erlernten Beruf und wie er seinen Lebensunterhalt finanziert habe. Immer wieder hakt Lieb bei den Schilderungen des Mannes nach, greift Gesagtes auf, fragt bei unklaren Punkten anders formuliert erneut, lässt sich manches zweimal erklären. Mit gezielten Fragen zu Kontakten in Syrien zu Militär, Polizei und Sicherheitsbehörden versucht der Entscheider, sicherheitskritische Aspekte zu prüfen. "Der Beruf eines Antragstellenden lässt uns aufmerksam werden: War er ein Berufssoldat? Hatte er einen höheren Rang im Militärdienst? Auch politische Betätigungen, etwa von höherrangigen Funktionären einer Partei, melden wir zur genaueren Prüfung ans Sicherheitsreferat der Zentrale"
, erläutert Kilian Lieb später.
Auch bei der Herkunftsklärung geht der Entscheider während der Anhörung ins Detail. "Mit gezielten Fragen zum Heimatland, etwa zur Geographie oder dem aktuellen Regierungssystem prüfen wir, wie vertraut jemand mit einem Herkunftsland ist. Wie bei einem Puzzle fügen sich so im Laufe der Anhörung viele Angaben zu einem Gesamtbild, das der Entscheiderin oder dem Entscheider erlaubt, eine Einschätzung zur Glaubhaftigkeit der vom Antragstellenden gemachten Aussagen zu treffen"
, erklärt Außenstellen-Leiter Peter Immeler.
Im Sachvortrag schildert der zweifache Familienvater aus Syrien während der Anhörung schließlich seine individuellen Fluchtgründe. Die Mitgliedschaft in einer Partei notiert Entscheider Kilian Lieb in sein Anhörungsprotokoll, den drohenden erneuten Einzug zum Wehrdienst, einen Bescheid zu einer Gerichtsverhandlung, eine möglicherweise drohende Verhaftung. Im Laufe seines Vortrags zeigt der Syrer einen Parteiausweis und die Beurkundung einer Eheschließung, erzählt von monatelangem Verstecken aus Angst vor bewaffneten Mitgliedern einer anderen Partei und einem Kontaktmann in Berlin. Kilian Lieb notiert, fragt nach, weist auf Widersprüche hin, fragt erneut nach. Die eingereichten Urkunden, kündigt er an, gehen zur Prüfung in die PTU, die Urkundenuntersuchung. "Ich muss Sie noch einmal dringlich auffordern, dem Bundesamt innerhalb der genannten Frist alle Personaldokumente, die Sie haben, zur Verfügung zu stellen"
, mahnt Entscheider Kilian Lieb den syrischen Antragstellenden schließlich.
Auf Basis der persönlichen Anhörung und der eingehenden Überprüfung aller Dokumente, Beweismittel und Sicherheitsaspekte wird Kilian Lieb im Anschluss seinen Asylbescheid verfassen. Dabei wird es für ihn maßgeblich sein, welche Gefahren dem Antragstellenden bei Rückkehr in sein Heimatland drohen.
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