Integration von Geflüchteten in ländlichen Räumen , Datum: 14.05.2020, Format: Forschungs­bericht, Bereich: Behörde

93 Prozent der Fläche Deutschlands sind nach einer Typologie des Thünen-Instituts als "ländliche Räume" einzustufen. Dort lebte 2017 mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Bei Migration und Integration denken viele jedoch zunächst an städtische Phänomene. Mit dem verstärkten Zuzug von Geflüchteten in den letzten Jahren und der 2016 eingeführten Wohnsitzregelung erweitert sich indes der räumliche Fokus.

Das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) untersucht im Forschungsbericht 36, wie die Integration von Geflüchteten auch in ländlichen Räumen gelingen kann. Welche besonderen Bedingungen sind dort zu finden, die diese begünstigen können, z.B. preiswerter Wohnraum und engere soziale Kontakte? Welche Herausforderungen zeigen sich aber auch, beispielsweise der Bus, der nur einmal am Tag in die nächstgelegene Stadt fährt?

Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick

Vielfalt der ländlichen Räume

Die Analysen haben zunächst bestätigt, dass sich Landkreise in Deutschland bezüglich Demografie, Siedlungs- und Infrastruktur, ökonomischen Kennziffern und sozialem Leben – und damit auch hinsichtlich der Integrationsvoraussetzungen – stark voneinander unterscheiden. Die "Stärken" oder "Schwächen" der jeweiligen Region, beispielsweise in der Wirtschaftsstruktur oder der ÖPNV-Versorgung, wirken sich auf zugewanderte Menschen in ähnlicher Weise aus wie auf die schon länger dort lebende Bevölkerung.

Verteilung von Geflüchteten variiert je nach Status

Die Verteilung der Geflüchteten in ganz Deutschland variiert je nach Aufenthaltsstatus. So konzentrieren sich Asylbewerberinnen und -bewerber sowie Geflüchtete mit einer Duldung auf Landkreise und Städte mit großen Aufnahmeeinrichtungen, bedingt durch entsprechende rechtliche Regularien. Die deutliche Mehrheit besitzt jedoch einen befristeten oder unbefristeten Schutzstatus und ist überdurchschnittlich häufig in kreisfreien Städten zu finden. Geflüchtete mit bereits längerem Aufenthalt in Deutschland und einer Niederlassungserlaubnis lebten Ende 2017 fast ausschließlich in den westlichen Bundesländern inklusive Berlin (97,9 Prozent). Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass ländliche Räume eine zunehmende Rolle als Wohnort von Geflüchteten spielen.

Migrationshistorische Erfahrungen der Landkreise sehr unterschiedlich

Während die vier für die Studie betrachteten westdeutschen Landkreise bereits Erfahrungen mit früheren Zuwanderungsbewegungen hatten, wurde in den beiden ostdeutschen Landkreisen der vermehrte Zuzug von Geflüchteten seit 2015 viel stärker als neues Phänomen gesehen. Diese unterschiedlichen migrationshistorischen Erfahrungen wirkten sich nach den Ergebnissen der qualitativen Interviews in vielfältiger Weise aus: zum Beispiel, wie die zugezogenen Personen durch die Bevölkerung wahrgenommen werden, wie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber handeln oder ob entsprechende Verwaltungsstrukturen und Konzepte vorhanden sind. Untersucht wurden außerdem zentrale Integrationsbereiche wie Wohnen, Bildung, der Zugang zum Arbeitsmarkt, die soziale Integration und das ehrenamtliche Engagement für Geflüchtete durch die schon länger ansässige Bevölkerung.

Wohnungsmarkt in ländlichen Regionen nur teilweise entspannt

Die Annahme, dass der (Miet-)Wohnungsmarkt in ländlichen Regionen generell entspannter sei, erweist sich als nicht haltbar. Insbesondere in wirtschaftlich starken Gemeinden und/oder Universitätsstandorten, die es auch in ländlichen Räumen gibt, kann es verstärkt zu Wohnraumkonkurrenzen von Geflüchteten mit anderen Bevölkerungsgruppen kommen. Verfügbarer Wohnraum ist überwiegend in peripheren Regionen innerhalb der Landkreise zu finden. Er weist jedoch häufig einen geringeren Qualitätsstandard auf.

Mobilität und Infrastruktur sind zentrale Herausforderungen

Fragen der Mobilität und der verfügbaren (digitalen) Infrastruktur spielen eine zentrale Rolle für die Integration von Geflüchteten in ländlichen Räumen, ebenso wie für die Attraktivität dieser Räume als Lebensort insgesamt. Da Geflüchtete überwiegend noch nicht am motorisierten Individualverkehr teilnehmen (können), hängen ihre Integrationschancen stark davon ab, die entsprechenden Angebote mittels öffentlicher Verkehrsmittel oder Mitfahrgelegenheiten zu erreichen bzw. von aufsuchenden Angeboten profitieren zu können, z. B. mobilen Beratungsangeboten der Wohlfahrtsverbände. Dies betrifft gleichermaßen Arbeit, Bildung, Gesundheitsversorgung, die notwendigen Behördenkontakte und die Freizeitgestaltung.

Methodik der Studie

Die für eine gelingende Integration sowie einen längeren Verbleib in ländlichen Räumen entscheidenden Faktoren hat das Forschungsteam anhand von Interviews mit mehr als 60 Personen in sechs Landkreisen in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz identifiziert. Ergänzend wurde eine Auswertung des Ausländerzentralregisters (AZR) zur räumlichen Verteilung von Geflüchteten in ganz Deutschland vorgenommen. Die der Studie zu Grunde liegenden Daten beziehen sich auf das Jahr 2017.


Der Forschungsbericht wurde verfasst von: Tabea Rösch, Hanne Schneider, Johannes Weber und Dr. Susanne Worbs