Der Unterricht im Virtuellen Klassenzimmer , Datum: 02.02.2023, Format: Artikel, Bereich: Integration

Das Unterrichten im Virtuellen Klassenzimmer bringt andere Herausforderungen mit sich als der Präsenzunterricht. So verlangt dieses digitale Unterrichtsformat insbesondere den Lernenden mehr Autonomie, Flexibilität und Reflexionsfähigkeit beim Spracherwerb ab, womit der Fokus noch einmal intensiv auf eine nachhaltige Unterstützung durch die Lehrkraft gelegt wird.

Wir möchten Sie mit den folgenden Tipps und Empfehlungen dazu ermutigen, Ihr methodisch-didaktisches Wissen und Ihren Erfahrungsschatz beim Unterricht im Virtuellen Klassenzimmer einzusetzen. Dabei gelten nach wie vor die allgemein bekannten pädagogischen Handlungsprinzipien und Unterrichtsstandards, wie sie den Konzepten für den Integrationskurs und für die Berufssprachkurse zu Grunde liegen.

Berücksichtigen Sie die Vorkenntnisse Ihrer Kursteilnehmenden

Orientieren Sie sich wie im Präsenzunterricht auch an den bereits vorhandenen Sprachkompetenzen und dem Bildungshintergrund Ihrer Teilnehmenden, beachten Sie aber, dass Ihre Kursteilnehmenden auch im Umgang mit der digitalen Technik unterschiedlich versiert sein können. Versuchen Sie, dies insbesondere zu Beginn Ihres Kurses zu berücksichtigen. Machen Sie sich ein Bild über die Lern- und Mediengewohnheiten Ihrer Kursteilnehmenden. Welche Medien/Apps benutzen sie (weniger) oft?

Gestalten Sie Ihren Unterricht teilnehmendenorientiert und abwechslungsreich

Ob in Präsenz oder virtuell – im Mittelpunkt eines jeden Sprachunterrichts stehen die Kursteilnehmenden. Daher ist zum einen das Selbst-Monitoring des Umfangs der Sprechanteile der Lehrenden von Bedeutung und zum anderen die Ausrichtung der Unterrichtsmoderation auf die Besonderheiten des Virtuellen Klassenzimmers. Wesentlicher Erfolgsfaktor des Unterrichts bleibt die Qualität der Interaktion. Viele Interaktionsprozesse müssen im digitalen Sprachunterricht expliziter bzw. aufwendiger angeregt und eingeübt werden als in Präsenz. Dies gilt ganz besonders für den Einsatz verschiedener sozialer Lern- und Arbeitsformen, wobei die jeweilige Software teils vielfältige Hilfsmittel anbietet. So kann für kooperative Arbeitsformen auf Breakout-Räume, virtuelle Pinnwände etc. zurückgegriffen werden.

Nehmen Sie sich Zeit für das Grundlegende

Machen Sie sich vor Kursbeginn mit den technischen Möglichkeiten der Software, die Sie für das Virtuelle Klassenzimmer einsetzen werden, vertraut. Führen Sie mit Kolleg*innen, Freund*innen oder Bekannten entsprechende "Trockenübungen" durch, um Routine im Umgang mit den unterschiedlichen Features der Software (z.B. Hand heben, Breakout-Rooms, Bildschirm teilen) zu bekommen.

In einem zweiten Schritt – zu Beginn des Kurses – empfiehlt es sich, sich Zeit für das Feststellen und Thematisieren der Bedarfe und der digitalen Kompetenzen der Lernenden zu nehmen und die Nutzung der Features für eine effiziente Unterrichtsgestaltung einzuüben. Legen Sie Ihren Kursteilnehmenden die Bedeutung aktiver Teilnahme im virtuellen Unterrichtsraum nahe und ermutigen Sie sie immer wieder dazu.

Gestalten Sie Ihren Unterricht transparent

Eine für alle Beteiligten transparente Lernzielplanung und ein transparentes Vorgehen im Unterricht können bei den Teilnehmenden auch im digitalen Unterricht zu mehr Motivation und Mitverantwortung für den eigenen Lernprozess beitragen. Verdeutlichen Sie deswegen immer wieder sowohl kurzfristige als auch langfristige Lernziele, die Sie gemeinsam mit Ihren Kursteilnehmenden erreichen möchten. Besprechen Sie die gemeinsamen Ziele mit ihnen. Machen Sie auch die Leistungserwartungen bzw. Bewertungskriterien deutlich.

Geben Sie Ihren Kursteilnehmenden regelmäßig Feedback

Im Virtuellen Klassenzimmer ist es für eine Lehrkraft schwieriger als im Präsenzunterricht, vorhandene bzw. entstehende Defizite und Unterschiede bei den Teilnehmenden frühzeitig festzustellen. Deswegen sollten Sie den Teilnehmenden regelmäßig sowohl individuell als auch kursbezogen Auskunft über ihren Lern- und Leistungsstand geben. Fordern Sie im Gegenzug Ihre Kursteilnehmenden dazu auf, auch Ihnen konstruktive Rückmeldungen zu geben und Fragen zu stellen. Dies bietet nicht nur die Möglichkeit zu mehr Partizipation, sondern auch zur Verbesserung des Lehr- bzw. Lernprozesses sowie der Kommunikation im Kurs.

Insbesondere bei kleinen Gruppen bietet sich dafür individuelle Lernberatung an. Die gleichzeitige Nutzung von Breakout-Räumen und des Hauptraums während der Partner- bzw. Gruppenarbeitsphase ist dafür gut geeignet.

Visualisieren Sie den Lernstoff

Nutzen Sie die visuellen Hilfen des Unterrichtsmaterials und geben Sie den Lernenden Zeit darauf zu reagieren. Fordern Sie auch dazu auf, ggf. eigene Fotos zu einem Kursthema zu teilen. Das sind immer motivierende Sprechanlässe. Die Arbeitsweise und -techniken der Kursteilnehmenden sind im Präsenzunterricht schnell sichtbar. Im Virtuellen Klassenzimmer dagegen besteht häufig die Gefahr, nicht rechtzeitig zu bemerken, dass einige Kursteilnehmende nicht mithalten können. Um sich zu vergewissern, dass Ihre Kursteilnehmenden neuen Lernstoff verstehen und anwenden können, fragen Sie während des Unterrichts immer wieder nach, ob und wie Ihre Kursteilnehmenden Notizen anfertigen, ob sie genug Zeit dafür haben oder evtl. mehr Zeit benötigen oder ob Ihre bzw. die Notizen der Kursteilnehmenden auf dem Bildschirm geteilt werden sollten. Das macht Lernverfahren bewusster und fördert die lernmethodische Aufmerksamkeit.

Sprechen Sie mehrere Sinneskanäle an

Das Fehlen einer Tafel muss unbedingt durch andere Visualisierungsformen kompensiert werden. Auch deswegen empfiehlt es sich, die Behandlung der Inhalte durch Teilung vom Bildschirm, Erstellung von Word-Dokumenten, Einsatz von E-Books, Padlets und ähnlichen Apps u.a. zur Festhaltung neuen Wortschatzes oder als Korrekturgrundlage visuell zu unterstützen. Auch die Kursteilnehmenden können ihre Bildschirme teilen, z. B. zur Präsentation von Lösungen oder Partner- bzw. Gruppenarbeit.

Berücksichtigen Sie die Ausbildung aller vier Sprachfertigkeiten gleichermaßen

Achten Sie auf das Training aller vier Sprachfertigkeiten: Hören, Lesen, Sprechen und vor allem Schreiben. Während den Herausforderungen bei der Entwicklung der Kompetenzen im Sprechen, Hören und Lesen noch relativ einfach begegnet werden kann, stellt sich dies beim Schreiben viel schwieriger dar: Im Virtuellen Klassenzimmer besteht keine Möglichkeit, den Kursteilnehmenden über die Schulter zu schauen und ihre Schreibdefizite rechtzeitig feststellen zu können. Deswegen ist es ratsam, Kursteilnehmende aufzufordern, mehr zu schreiben, u. a. auch handschriftlich. Hilfreich ist oft ein Lerntagebuch, das auch eine gute Grundlage für eine differenzierte Lernberatung sein kann: Was war für mich interessant/schwer? Was hat mir Spaß gemacht? Was würde mich auch interessieren?

Die Fertigkeit Schreiben spielt gerade im berufsbezogenen Deutsch eine bedeutende Rolle. Daher ist es sehr wichtig, die für das Bestehen der Prüfung notwendigen kombinierten Fertigkeiten Hören und Schreiben sowie Lesen und Schreiben intensiv zu trainieren.

Initiieren Sie so viel wie möglich kollegialen Austausch

Darüber hinaus empfehlen wir Ihnen bei anderen Kolleg*innen, am besten nach Möglichkeit bei mehreren Kolleg*innen zu hospitieren und Erprobungsphasen bzw. Testen von digitalen Tools im Kreis von Kolleg*innen anzuregen. Oft entdeckt man dabei eigene Stärken und Schwächen und erhält alternative methodische Ideen. Natürlich sollten umgekehrt auch Kolleg*innen bei Ihnen hospitieren. Seien Sie offen für den kollegialen Austausch.

Tiefergehende Kenntnisse und Kompetenzen in diesem Bereich erwerben Sie im vom Bundesamt angebotenen Wahlmodul Medienkompetenz sowie im Modul 7 "Digitale Kompetenz" im Rahmen der additiven Zusatzqualifizierung für Lehrkräfte in Berufssprachkursen.

Wir danken Ihnen für Ihr Engagement und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg beim Unterrichten!

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Referat 82C „Fragen der sprachlichen und politischen Bildung“ in Zusammenarbeit mit Herrn Prof. Dr. Hermann Funk (Mitglied der Bewertungskommission).