Unterrichten mit Herz –Deutschlehrerin Anna Wozniacka , Datum: 22.10.2019, Format: Meldung, Bereich: Integration

In den vom BAMF finanzierten Kursen machen die geflüchteten Menschen die ersten Schritte in die neue Gesellschaft. Ihre Lehrerinnen und Lehrer sind oft auch die ersten Bezugspersonen im neuen Land. Sie vermitteln nicht nur Sprache, sondern haben auch ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Schülerinnen und Schüler.

Menschen, die aus Kriegsregionen nach Europa flüchten, nehmen viel auf sich. Wenn ihnen die Flucht gelingt und sie Deutschland erreichen, sind sie nicht mehr in Lebensgefahr. Aber sie stehen vor einer ungewissen Zukunft. Die Vorstellung, schnell eine Arbeit zu finden, um auch möglichst die Familie in der Heimat zu unterstützen zu können, stellt sie vor große Herausforderungen. Die erste Hürde, die sie dafür nehmen müssen, ist das Erlernen der Sprache. In verschiedenen vom BAMF finanzierten Kursen machen die geflüchteten Menschen die ersten Schritte in die neue Gesellschaft. Ihre Lehrerinnen und Lehrer sind oft auch die ersten Bezugspersonen im neuen Land. Sie vermitteln nicht nur Sprache, sondern haben auch ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Schülerinnen und Schüler.

Lehrerin - manchmal auch Psychologin und Sozialarbeiterin

Es gab nie einen anderen Berufswunsch für sie. Als Kind hat Anna Wozniacka Lehrerin gespielt und ihre Puppen unterrichtet. Die heute 58-jährige Deutschlehrerin kam 1976 mit ihrer Familie nach Berlin, damals Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR. Ihre Eltern haben dort in der polnischen Botschaft gearbeitet. Sie erinnert sich, dass sie in nur sechs Monaten die neue Sprache erlernte. Das wird daran gelegen haben, dass sie die deutsche Sprache auf Anhieb liebte. "Eine Liebe, die ein Leben lang hält", sagt sie. Nach dem Abitur studierte sie an der Humboldt-Universität Germanistik und wurde Deutschlehrerin. Mit nur 24 Jahren. 1984 nahm Anna Wozniacka ihre literarischen Texte und ihre neue Sprache mit und ging nach Warschau, wo sie über 20 Jahre lang Deutsch unterrichtete. 2006 kehrte sie nach Berlin zurück, in die Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands. Mit über 20 Jahren Lehrerfahrung ging sie an eine Sprachschule, unterrichtete 500 Stunden Deutsch als Fremdsprache und beantragte die BAMF-Zulassung. Sie bewarb sich an der WIPA (Wirtschaftsschule Kurt Paykowski), auf die sie in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zufällig aufmerksam wurde. Nach einer zweijährigen Honorarbeschäftigung bei dem Bildungsunternehmen wurde sie 2011 festangestellt.

Wenn Wozniacka durch die Klasse geht, in der ihre Schülerinnen und Schüler in Gruppen arbeiten und mit ihnen spricht, merkt man, dass sie nicht nur als Lehrerin, sondern auch menschlich auf sie zugeht. Diese Vermutung bestätigt sich später im Gespräch, wenn sie erzählt, was ihr an ihrer Arbeit gefällt. Sie liebt nicht nur die Sprache, sie liebt es auch, Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen, sagt sie. Menschen mit ihren Schicksalen, ihren interessanten, traurigen, ja auch deprimierenden Geschichten. "Ich bin eine gute Zuhörerin", sagt sie und erzählt, dass sich Kursteilnehmende ihr gegenüber deswegen auch gern öffnen. Was sie von ihnen erfährt, sind aber keineswegs nur schöne Geschichten aus anderen Ländern und Kulturen.

Sie berichtet, dass sich Frauen nach dem Unterricht schon mal bei ihr ausweinten, weil sie aufgrund verschiedener Probleme nicht mehr weiter wussten. So kam es bisweilen auch durchaus vor, dass ihr Frauen von häuslicher Gewalt berichteten. "Sie holten sich jedoch keine Hilfe, aus Angst, von ihren Männern zurückgeschickt zu werden," erzählt Wozniacka. Die Lehrerin, die sich in solchen Situationen dann wie eine Psychologin und Sozialarbeiterin fühlt, hört zu, tröstet, gibt aber auch Tipps, wohin Frauen sich wenden können.

In den Kursen aber, sagt sie, gebe es keine Konflikte. "Eine Sprache lernt man, wenn der Unterricht Spaß macht". Und dafür sorgt sie, indem sie immer auch Material mitbringt, um die Lehrstunden mit Zeitungsartikeln, kurzen Geschichten, Zitaten bekannter Autorinnen und Autoren oder Ähnlichem aufzulockern.

Wozniacka unterrichtet seit vier Jahren hauptsächlich A2-Plus- und B1-Plus-Kurse. Im Rahmen der berufsvorbereitenden ESF-BAMF-Kurse standen regelmäßige Betriebsbesichtigungen und Praktika auf dem Programm. Die Teilnehmenden hatten bei den Besuchen erstmals Kontakt zur Arbeitswelt, erzählt die Lehrerin: "Sie waren begeistert und hatten einen Funken von Hoffnung in den Augen." Die Besuche hätten die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer motiviert, schneller zu lernen, weil sie endlich arbeiten wollten. Was sie beim Märkischen Landbrot, den Berliner Wasserwerken, bei Vattenfall, in Brauereien oder bei der Deutschen Welle gesehen haben, wurde später im Unterricht thematisiert.

Durch Praktika in den ersten Arbeitsmarkt

Besonders die Praktika waren sehr wichtig, sagt Wozniacka. "Dort hatten Lernende die Gelegenheit, ihre Sprachkenntnisse in der Praxis anzuwenden". Alle seien immer herzlich aufgenommen worden und hätten "erkannt, dass sie tatsächlich eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Schade, dass die ESF-BAMF Kurse ausgelaufen sind."

Zu vielen ehemaligen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern hat die Lehrerin weiterhin Kontakt. Die meisten von ihnen nehmen an weiterführenden Kursen teil. Einige machen eine Ausbildung (z.B. als Reiseverkehrskauffrau, Busfahrer oder Polsterer), andere haben sich selbstständig gemacht: Eine Frau hat ein Tattoo-Studio eröffnet, eine andere eine Reinigungsfirma. Wieder andere, berichtet Wozniacka, seien von den Privatbetrieben übernommen worden, bei denen sie ihre Praktika absolviert hatten. Die Praktika seien die besten Türöffner in den ersten Arbeitsmarkt gewesen. Damit hätten sich für die Geflüchteten, die mehrheitlich aus Syrien und Afghanistan stammten, Zukunftsvorstellungen erfüllt, die sie zu Beginn der Kurse nicht gehabt hätten. "Sie hatten anfangs Angst vor einer eventuellen Abschiebung und konnten sich nicht auf das Lernen konzentrieren". Diejenigen, die in ihren Heimatländern studiert hatten, hofften darauf, ihre Abschlüsse hier anerkennen zu lassen. Am Ende hätten aber selbst Frauen, die keine Chance für sich sahen, Arbeit als Friseurin oder Bäckereiverkäuferin gefunden.

Manchmal sucht Wozniacka sie auf. Dann aber nicht mehr als Lehrerin, sondern als Kundin. Und wenn sie sich mit ihnen unterhält, spürt sie irgendwo hinter ihrer Freude doch auch ein wenig Stolz.

Text von Kemal Hür