Mit dem Stadtbus zum Erfolg – Kooperation mit Münchner Verkehrsgesellschaft , Datum: 22.10.2019, Format: Meldung, Bereich: Integration

In München besuchen Geflüchtete und Zugewanderte einen Berufssprachkurs, um später städtische Busse oder U-Bahnen zu lenken. Die ersten Teilnehmenden kutschieren bereits Fahrgäste durch die Stadt.

Deutsch lernen für den Wunschberuf

Fünf Kursteilnehmer sitzen an ihren Tischen und eine Lehrerin steht davor. Gemeinsam macht lernen Spaß – Teilnehmer Habib Hakimi hat die Antwort parat. Quelle: © Alexander Rochau

Freitagnachmittag in einem Seminarraum des beruflichen Fortbildungszentrums bfz in München-Obersendling: An den Wänden hängen bunte Plakate mit so komplizierten Begriffen wie "Schneekettenpflicht", "Antriebsschlupfregelung" oder "Kurvenradius". Acht Deutschkurs-Teilnehmende aus so unterschiedlichen Ländern wie Afghanistan, Nigeria und Russland blicken konzentriert in ihre Blöcke. Gemeinsam besuchen sie einen vorbereitenden Deutschkurs, um sich im Anschluss von der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) zum Busfahrer oder zur U-Bahnfahrerin ausbilden zu lassen.

Deutsch-Referentin Bettina Listl will heute testen, was sich die Teilnehmenden aus den letzten Einheiten gemerkt haben. Die Stimmung ist kollegial und entspannt – jeder weiß die Antwort auf eine andere Frage. Wie heißt die bayerische Verkehrsministerin? Was ist eine Reversiereinrichtung im Bus? Wie schnell fährt die Tram im Durchschnitt? "18,9 Kilometer pro Stunde", ruft ein Teilnehmer ohne nachzudenken. Listl nickt anerkennend.

Integration am Lenkrad

Der Sprachkurs für "Berufskraftfahrer München" ist eine Kombimaßnahme zwischen dem ESF-BAMF-Programm "Berufsbezogene Deutschförderung" und der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Das Projekt ist auf sechs Monate angelegt: Auf einen dreimonatigen Vollzeit-Sprachkurs im bfz folgt ein dreimonatiges Praktikum bei der MVG mit begleitender Sprachförderung. Ziel ist es, dass die Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten das B2-Sprachniveau erreichen und anschließend von der MVG in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis übernommen werden. Dort sollen sie betriebsintern zum Bus- oder U-Bahnfahrer ausgebildet werden.

Vier Teilnehmende aus der Pilotstaffel haben bereits einen Arbeitsvertrag bei der MVG unterschrieben und fahren Bus oder U-Bahn in München. Das freut Tabea Hoffmann, die als Navigatorin des Programms Integration durch Austausch (IdA) zuständig für die Kommunikation zwischen den Projektpartnern ist. Mittlerweile ist das Projekt schon in der zweiten Runde, sagt Hoffmann. Und: "Die dritte Staffel ist schon in Vorbereitung."

Markus Renda, Fahrdienstleiter bei der MVG, freut sich über den neuen Kanal zur Rekrutierung von neuen Fahrerinnen und Fahrern. Bei der MVG suche man schließlich händeringend nach neuem Personal. "Weil München wächst, haben wir momentan einen ständigen Einstellungsbedarf", erklärt Renda. "Doch auch aus gesellschaftlicher Sicht halte ich das Projekt für sehr wichtig", sagt Renda. "Es wird uns nur gelingen, Geflüchtete und Migranten zu integrieren, wenn sie Arbeit finden."

Die Deutschkenntnisse stellen den Schlüssel für eine erfolgreiche Karriere bei der MVG dar, nicht nur um die anspruchsvolle IHK-Prüfung zu bestehen. Auch später im Berufsalltag muss man sich gut verständigen können, um einen Bus oder eine U-Bahn zu lenken. Busfahrerinnen und U-Bahn-Fahrer müssen Sicherheitsvorgaben schriftlich dokumentieren, mit Fahrgästen kommunizieren, und sich via Funk mit Kolleginnen und Kollegen austauschen. "Die Fachwörter sind sehr schwierig", sagt der 35-jährige Habib Hakimi, der aus Afghanistan kommt und derzeit als Praktikant bei der MVG arbeitet. "Dass mein Chef Bayerisch spricht, macht es noch schwieriger", sagt Hakimi und lacht.

Nächste Station Festanstellung

"Wir legen viel Wert auf die Vorauswahl der Teilnehmenden", sagt Michael de Graat, Koordinator für Flüchtlingsprojekte beim Jobcenter München. "Das Lenken eines Autobusses mit bis zu 180 Fahrgästen ist schließlich eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit." Mit Hilfe eines Assessment-Centers und eines mündlichen und schriftlichen Spracheinstufungstests werden geeignete Bewerbende ausgewählt. Wichtig seien neben der medizinischen Eignung und eines einwandfreien Führungszeugnisses auch die Motivation und das Durchhaltevermögen der Teilnehmenden. "Weil die Teilnehmenden wissen, dass nach sechs Monaten ein unbefristeter Arbeitsvertrag bei einem öffentlichen Arbeitgeber winkt, erhöht sich die Motivation auf natürliche Weise", sagt de Graat.

Zitat

Die Motivation der Teilnehmenden ist sehr hoch.

Michael de Graat
Koordinator für Flüchtlingsprojekte beim Jobcenter München

Manche Teilnehmende haben bereits Branchenerfahrung: Kevin Ezugwu, der ursprünglich aus Nigeria kommt, hat in Deutschland bereits als LKW-Fahrer gearbeitet. "Ich will mich nun weiterentwickeln und langfristig einen sicheren Arbeitsplatz erhalten", sagt er. "Deshalb will ich Busfahrer in München werden."

Für seine Kollegin Natalia Naumova, die ursprünglich aus Russland stammt, ist die Ausbildung hingegen eine ganz neue Erfahrung. An der Technischen Universität in Saratow studierte Naumova Management, bevor sie 2010 nach Deutschland kam. Weil ihr universitärer Abschluss in Deutschland nicht anerkannt werde, sei sie schließlich zum MVG-Projekt gekommen. "Ich will U-Bahnfahrerin werden", erzählt sie mit einem Strahlen im Gesicht. "Beim MVG-Schnuppertag durfte ich schon selbstständig sieben Stationen fahren! Das war super!"

Text von Anja Reiter