Gemeinsam gegen Vorurteile , Datum: 04.09.2020, Format: Meldung, Bereich: Integration , Die jüdische Kultusgemeinde Bielefeld baut Brücken zu Kirchen- und Moscheegemeinden

Seit 1999 findet jährlich am ersten September-Sonntag – in diesem Jahr am 6. September – der Europäische Tag der jüdischen Kultur statt. Koordiniert wird dieser von der Europäischen Vereinigung für die Bewahrung und Förderung von Kultur und Erbe des Judentums. Der Aktionstag lädt ein, die Geschichte, Traditionen und Bräuche des Judentums kennenzulernen. Nicht nur an diesem Tag vernetzt das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geförderte Projekt "Gemeinsam gegen Vorurteile" der jüdischen Gemeinde in Bielefeld jüdische und nichtjüdische Menschen miteinander.

So leer ist es selten im "Haus der Hoffnung" (hebräisch Beit Tikwa) in Bielefeld. Wegen der Corona-Pandemie musste die jüdische Gemeinde mit ihren 320 Mitgliedern viele Veranstaltungen in ihrem Gemeindezentrum absagen. Die beliebten Vorträge über den jüdischen Glauben bietet Gemeinde-Mitarbeiter Yuval Adam als Videokonferenz an, das Grillfest mit jüdischen, christlichen und muslimischen Freundinnen und Freunden fällt in diesem Jahr aus.

Dennoch hat die Gemeinde mit ihrem vom BAMF geförderten Projekt "Gemeinsam gegen Vorurteile" eine Menge erreicht: Mehr als 2.500 Gäste haben seit Projektbeginn 2018 bis zum "Lockdown" Mitte März an den Synagogenführungen teilgenommen. Zum Erzählcafé in der jüdischen Kultusgemeinde kamen ein bis zwei Mal im Monat bis zu 50 Menschen aus Kirchen- und Moscheegemeinden, zur Handarbeitsgruppe alle zwei Wochen zehn bis 15 christliche, muslimische und jüdische Teilnehmende. Gemeinsam haben sie Insektenhotels gebaut, die jetzt im Garten des Gemeindezentrums Bienen, Hummeln und andere nützliche Brummer beherbergen.

Selbstverständlicher Bestandteil der deutschen Gesellschaft

"Wir haben uns in den Jahren intensiv in der Stadt und der Region vernetzt", sagt die ehrenamtliche Gemeindevorsitzende Irith Michelsohn. Deutschlandweit ist sie für die Gemeinde unterwegs, mal in Düsseldorf bei der Landesregierung, mal im politischen Berlin, mal als Generalsekretärin der Union Progressiver Juden. Engen Kontakt hält sie auch zu zahlreichen Kirchen- und Moscheegemeinden. Michelsohn sieht ihre jüdische Gemeinde als selbstverständlichen Bestandteil der deutschen Gesellschaft. "Wir sind keine Exoten", sagt sie. Jüdisches Leben sei ganz normaler deutscher Alltag.

Mit Hilfe des Projekts "Gemeinsam gegen Vorurteile" hat sich die jüdische Gemeinde in Bielefeld in den vergangenen beiden Jahren noch weiter in die Stadtgesellschaft geöffnet. So besuchten etwa auch zahlreiche Nichtjuden die Vorträge im modernen Gemeindezentrum in einer ehemaligen Kirche an der Detmolder Straße.

"Erzählcafé" nennt die Gemeinde ihre monatlichen Veranstaltungen mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Gesellschaft. Gemeindemitarbeiter Yuval Adam ist dabei der Vortrag der Ausschwitzüberlebenden Anita Lasker-Wallfisch besonders in Erinnerung geblieben. Die damals 17-Jährige erhielt durch ihr musikalisches Talent einen Platz im Lagerorchester.

Für die Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld, Irith Michelsohn, fördert die Begegnung mit dem Judentum und der heute in Deutschland lebenden jüdischen Gemeinschaft "Verständnis, Akzeptanz und tritt dem erstarkenden Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus entgegen."

Fragen gegen Vorurteile

Neben dem Blick in die Zeitgeschichte – wie er etwa auch mit einer gemeinsamen Veranstaltung von Juden, Christen und Muslimen zum Holocaust-Gedenktag Yom Ha Shoa stattfand – zeigt das Projekt auch das alltägliche Leben auf.

In zahlreichen Gesprächen am Rande von Geburtstagsfeiern, Ausflügen, dem Sommerfest, Konzerten oder der Handarbeitsgruppe gehe es um ganz alltägliche Fragen: Was sind die Unterschiede von jüdischen und muslimischen Speiseregeln? Wie hält man den Sabbat, den jüdischen Tag der Ruhe, in Deutschland ein?

Die Sozialarbeiterin Elena Egorov erinnert sich auch gerne an die Frage einer kleinen Gruppe von Frauen, wie es um die Verhütung im Judentum stehe. Einfach Fragen stellen, das bräche das Eis und öffne die Tür für tiefere Gespräche, die Vorurteile überwinden könnten.

Text: Robert B. Fishman