Binnenmobilität von Geflüchteten , Datum: 23.03.2022, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Das Wanderungsverhalten und die Wohnortwahl von Geflüchteten in Deutschland sind bislang wenig erforscht. Mit Hilfe des Ausländerzentralregisters (AZR) hat das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erstmals die Binnenmobilität von Geflüchteten mit Schutzstatus innerhalb Deutschlands unter die Lupe genommen.

Der Wohnort und die dortigen sozialen, ökonomischen und demografischen Gegebenheiten haben einen großen Einfluss auf die individuelle Lebensqualität und die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen. Im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen, die ihren Wohnort in Deutschland frei wählen können, stellt die Wohnortwahl von Geflüchteten eine Besonderheit dar, da sie weitgehend - bis zu drei Jahre nach Erteilung eines Schutzstatus – gesetzlich reguliert wird.

Erkenntnisse über die Wohnortwahl und die Binnenmobilität von schutzberechtigten Geflüchteten gibt es bislang kaum. Ziel der nun vorgelegten Studie war es, diese Erkenntnislücke zu reduzieren, indem zunächst die grundsätzliche Eignung des Ausländerzentralregisters für entsprechende Analysen geprüft wurde. Im Fokus standen dabei volljährige Personen, die zwischen 2015 und 2019 erstmals nach Deutschland eingereist sind und einen Schutzstatus im Asylverfahren erhalten haben. Für diese Personengruppe wurde das Umzugsverhalten über Kreisgrenzen bis zum Stichtag 31.12.2020 analysiert. Es wurde unter anderem untersucht, wie sich die Binnenmobilität mit steigendem Alter verändert oder ob geflüchtete Männer öfter umziehen als geflüchtete Frauen. Ferner wurde die Mobilität der Geflüchteten zwischen Kreisen mit unterschiedlicher ökonomischer Lage analysiert, und der Frage nachgegangen, ob sie eher in Städte oder ländliche Kreise ziehen.

Im Interview erläutert Johannes Weber, Autor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter im BAMF-Forschungszentrum, die zentralen Studienergebnisse und Hintergründe.

Herr Weber, Sie haben die individuelle Mobilität von Schutzberechtigen untersucht. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gelangt?

Ein Mann lächelt in die Kamera. Johannes Weber Quelle: © BAMF

Johannes Weber: Bei den Analysen zeigte sich einerseits, dass sich die Binnenmobilität der Geflüchteten mit Schutzstatus teilweise von der von Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit unterscheidet. Dazu zählt die vor allem zu Beginn des Aufenthalts vergleichsweise hohe Anzahl an Binnenwanderungen. Dies ist jedoch vermutlich weniger das Resultat einer besonders ausgeprägten individuellen Mobilitätsbereitschaft der Geflüchteten, sondern vielmehr auf die rechtlichen Regularien sowie die häufige Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zu Beginn des Aufenthaltes in Deutschland zurückzuführen. Zum anderen nimmt zwar, wie aus der Forschung bereits bekannt, die Mobilitätsbereitschaft mit zunehmendem Alter ab und ledige Personen sind mobiler als diejenigen, die verheiratet sind. Jedoch scheinen männliche Geflüchtete mobiler zu sein als weibliche, wenngleich sich dieser geschlechtsspezifische Unterschied mit zunehmendem Alter reduziert. Eine besonders geringe Mobilität konnte bei verheirateten geflüchteten Frauen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren festgestellt werden.

Welche Regionen sind für Geflüchtete besonders interessant?

Johannes Weber: Geografisch gesehen weisen vor allem die nordwestlichen Flächenländer Deutschlands hohe Wanderungsgewinne auf, während insbesondere die ostdeutschen Flächenländer relativ hohe Wanderungsverluste verzeichnen. Sowohl bei der räumlichen Verteilung als auch bei den Wanderungen wurde zudem deutlich, dass städtische Kreise für Geflüchtete mit Schutzstatus eine höhere Attraktivität als ländliche Regionen haben. Dies zeigt sich auch an den hohen Wanderungsgewinnen in den drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Geflüchtete mit Schutzstatus wohnen relativ häufig in Kreisen mit einer vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit bzw. ziehen auch häufiger in diese. Diese beiden Ergebnisse sind kein Widerspruch, sondern ergänzen sich vielmehr, da (Groß-)Städte vorwiegend zu den Kreisen zählen, in denen eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote vorherrscht.

Inwieweit wurde das Ausländerzentralregister bisher für Analysen dieser Art genutzt?

Johannes Weber: Erkenntnisse über die Binnenmobilität von Geflüchteten lagen bislang kaum vor. Dies lag vor allem an einem Mangel an verfügbaren Informationen. Mit dem Ansatz des Statistischen Bundesamtes, das AZR als Längsschnittdatenquelle zu nutzen, eröffnete sich eine Möglichkeit, die Binnenmobilität von ausländischen Staatsangehörigen in Deutschland zu analysieren. Daran anknüpfend untersuchten wir erstmalig bundesweit die Binnenmobilität von Geflüchteten mit Schutzstatus, als einer Untergruppe der ausländischen Staatsangehörigen in Deutschland. Betrachtet wurden dabei kreisübergreifende Umzüge und zusätzlich konnten wir individuelle Merkmale der Geflüchteten, die im AZR enthalten sind, in die Analysen einbeziehen. Dazu zählten das Alter, der Familienstand und das Geschlecht der Personen. So konnten unterschiedliche sozio-demografische Gruppen gebildet und verglichen werden. Aktuell wird der AZR-Forschungsdatensatz für eine Evaluation der Wohnsitzregelung nach § 12a AufenthG im Auftrag der Bundesregierung genutzt. Damit erhoffen wir uns, dass in Zukunft die Forschungslücke über die Mobilität von Geflüchteten weiter geschlossen werden kann, um unter anderem die Bedeutung von Wohnortentscheidungen bei Integrationsprozessen besser zu verstehen.

Das Ausländerzentralregister als Forschungsdatensatz

Seit August 2021 können Forschungseinrichtungen Daten aus dem AZR für Forschungszwecke über das BAMF-Forschungsdatenzentrum (BAMF-FDZ) erhalten. Das Datenangebot umfasst unter anderem den "AZR-Forschungsdatensatz 2021", eine 20-prozentige Zufallsstichprobe aus dem Gesamtdatenbestand des AZR. Dieser enthält Daten zu volljährigen Drittstaatsangehörigen (keine EU-Bürgerinnen und EU-Bürger), die sich nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten oder aufgehalten haben. Der "AZR-Forschungsdatensatz 2021" ist faktisch anonymisiert und der Zugang erfolgt über Gastwissenschaftsarbeitsplätze. Weiterhin können personenbezogene Adressdaten inkl. erforderlicher Strukturmerkmale für die Durchführung von wissenschaftlichen Befragungen genutzt werden.


Binnenmobilität von Geflüchteten mit Schutzstatus in Deutschland Format: Forschungs­bericht

Der BAMF-Forschungsbericht 39 untersucht erstmalig bundesweit kreisübergreifende Wanderungen von Geflüchteten mit Schutzstatus in Deutschland. Basis dafür sind Daten aus dem Ausländerzentralregister.