70 Jahre Bundesamt – von der Asylbehörde zum Kompetenzzentrum für Migration, Integration und Flüchtlingsschutz , Datum: 18.12.2023, Format: Interview, Bereich: Presse

Am Beginn der Geschichte des Bundesamts steht die Genfer Flüchtlingskonvention vom Juli 1951. Am 12.01.1953 tritt mit der Übernahme des "Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" (Genfer Flüchtlingskonvention) in innerstaatliches Recht der Bundesrepublik Deutschland die "Verordnung über die Anerkennung und die Verteilung von ausländischen Flüchtlingen" in Kraft. Dazu wurde eine Behörde errichtet, die die GFK umsetzen sollte, und die anfangs lediglich als "Bundesdienststelle" benannt war. Angesiedelt wurde sie in Nürnberg, bevor sie 1961 nach Zirndorf vor den Toren Nürnbergs umzog. Im Jahr 1993 wurde der Sitz des Bundesamtes wieder nach Nürnberg verlagert.

Hatte die Dienststelle zu Beginn nur 40 Mitarbeitende, so stieg die Zahl auf 240 im Jahr 1980, bis sie 1993 einen Höchststand von 4.100 erreichte. Dies ging einher mit dem Anstieg der Asylbewerbendenzahlen von 1906 im Jahr 1953 über das erstmalige Überschreiten der Marke von 100.000 im Jahr 1980 bis hin zu 438.000 Antragstellenden im Jahr 1992. Besondere organisatorische Wegmarken waren in der ersten Phase bis zum Jahr 2000 die mit dem Ausländergesetz von 1965 vorgenommene Umbenennung in "Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge", die Einführung der weisungsungebundenen Einzelentscheider 1980 sowie die Einrichtung von Außenstellen mit einem Höchststand von 48 im Jahr 1993.

Durch den sog. Asylkompromiss am 06.12.1992, der zur Einführung des neuen Art. 16a GG mit den Regelungen zu den sicheren Herkunftsländern und den sicheren Drittstaaten führte, nahm die Zahl der Erstanträge auf unter 100.000 im Jahr 1998 ab. In der Folge kam es zur Schließung von Außenstellen, die nun nicht mehr in dem Maße gebraucht wurden, und auch zur Reduzierung der Zahl der Mitarbeitenden, die z.T. zu anderen Behörden wechselten. Die neuen Rahmenbedingungen machten aber auch Spezialisierungen wie die Sonderbeauftragten z.B. für Folteropfer oder die Verbindungsbeamten im Ausland möglich. Durch das Schengener Durchführungsübereinkommen und das Dubliner Übereinkommen bekam das Bundesamt auch eine internationale bzw. europäische Ausrichtung. Nach der Aufbauphase unter den Leitern Eduard Kramer (1953-1958), Helmut Kriebel (1958-1966) und Eberhard Bender (1966-1978) war die Phase des starken Anwachsens geprägt durch Hans-Georg Dusch, Norbert von Nieding, Gerhard Groß und erneut Hans-Georg Dusch.

Den größten Einfluss auf Aufgaben und Struktur des Bundesamts hatte jedoch die von Bundesinnenminister Otto Schily im Juli 2000 errichtete Unabhängige Kommission Zuwanderung (UKZu) unter Leitung der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Die UKZu regte an, migrations- und integrationsbezogene Aufgaben des Bundes möglichst in einer Behörde zu bündeln und schlug dafür das Bundesamt vor, das den neuen Namen "Bundesamt für Zuwanderung und Integration" erhalten sollte.

Obwohl das auf der Basis der Vorschläge der Süssmuth-Kommission erlassene Zuwanderungsgesetz, das am 01.01.2003 in Kraft treten sollte, am 18.12.2002 vom BVerfG aus formellen Gründen für nichtig erklärt wurde und in veränderter Fassung erst 2005 in Kraft trat, wurden dem Bundesamt bereits ab 2003 im Erlassweg Aufgaben im Bereich der Integration übertragen. Dazu kamen Aufgaben im Bereich der Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die Zuständigkeit für Europäische Fonds und dann – ab 2005 – weitere Aufgaben im Rahmen von Forscherzuwanderung, Förderung der freiwilligen Rückkehr, Humanitäre Aufnahme und Resettlement. Außerdem wurde das Bundesamt die Registerbehörde für das Ausländerzentralregister und erhielt einen eigenen Forschungsbereich. Die Jahre der Transformation vom reinen Asylamt zum "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge", wie das Amt nun hieß, wurden geprägt von Präsident Albert Schmid, der das Bundesamt von 2000 bis 2010 leitete. Die Asylerstantragszahlen sanken bis 2007 auf 19.000 und ließen Raum für die neuen Aufgaben. Integrationskurse und der Einbürgerungstest wurden konzipiert, die Projektarbeit ausgeweitet und die Geschäftsstelle der Deutschen Islam Konferenz im BAMF angesiedelt, so dass das Bundesamt eine immer stärkere Rolle beim gesellschaftlichen Zusammenhalt spielte.

Die Zahl der Erstantragsteller stieg bis 2013 auf 109.000 und bis 2014 auf 173.000 wieder an. Hierbei handelte es sich vorwiegend um Asylbewerbende aus den Westbalkanstaaten, deren Schutzquote bei nahezu Null lag. Durch die Erklärung von zunächst drei dieser Länder zu sicheren Herkunftsstaaten konnte diese Entwicklung gestoppt werden. Gleichzeitig begann im Jahr 2015 die Zahl der Geflüchteten aus Syrien zu steigen, bevor im Herbst dann teilweise über 10.000 Asylsuchende pro Tag in Deutschland ankamen, so dass eine zeitnahe Registrierung z.T. nicht möglich war. Die Gesamtantragszahl belief sich 2015/16 auf über 1 Mio. Diese Entwicklung führte ab 2015 zu Gesetzesänderungen und im Bundesamt zunächst unter Präsident Manfred Schmid (2010-2015) und von 2015 bis 2017 unter Frank-Jürgen Weise und Jutta Cordt (2017-2018) zu einem rasanten Personalaufwuchs, einer verstärkten Digitalisierung und zu organisatorischen Änderungen wie der Einrichtung weiterer Außenstellen. Die Maßnahmen bewirkten Prozessoptimierungen und einen raschen Abbau der anhängigen Verfahren.

Die Antragszahlen gingen ab 2017 stark zurück und erreichten im Coronajahr 2020 mit seiner insgesamt geringen Mobilität fast die Schwelle von 100.000. Im Jahr 2021 leistete das BAMF einen erheblichen Beitrag bei der Aufnahme der afghanischen Ortskräfte. 2022 war neben dem Wiederanstieg der Asylantragszahlen auf 244.000 und der fortdauernden Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Personen aus Afghanistan v.a. die Aufnahme von über 1 Mio. Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine prägend. Für sie war wegen des in der Massenzustromrichtlinie von 2001 vorgesehenen temporären Schutzes kein Asylverfahren nötig. Das Bundesamt unterstützte dabei die Länder und Kommunen durch eine schnelle Programmierung und Bereitstellung der Verteilsoftware FREE, die sich wie das EASY-System für Asyl am Königsteiner Schlüssel orientiert. Zusätzlich leistete das BAMF den Ländern Amtshilfe bei der Erstregistrierung durch Bereitstellung von Registrierungsstationen und Unterstützung durch zeitweise bis zu 270 Mitarbeitende. Diese Aktionen haben gezeigt: aktuelle Herausforderungen können Bund und Länder nur gemeinsam bewältigen. Zudem forderte die Entwicklung das Integrationskurssystem: 2022 haben rd. 200.000 ukrainische Geflüchtete neu mit einem Integrationskurs begonnen. Insgesamt wurden im Jahr 2022 knapp 340.000 neue Teilnehmende in Integrationskursen gezählt, mehr als eine Verdreifachung im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt wurden die Integrationskurse seit 2005 von über 3 Mio. Menschen besucht, immer wieder auf neue Zielgruppen hin angepasst und durch Berufsbezogene Sprachkurse ergänzt. Auch das Jahr 2022 zeigte: Integration muss bei Migration immer mitgedacht werden. Teilhabe gelingt nur, wenn Kommunikation möglich ist.

Vier Entwicklungen waren also in den letzten Jahrzehnten prägend für das Bundesamt:

  1. der starke Anstieg der Asylbewerbendenzahlen ab 1990 und der Rückgang ab 1992, der auch mit einer Reduzierung der Mitarbeitendenzahl einher ging.
  2. die Transformation vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das nur für Asylprüfungen zuständig war, zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2002, das nunmehr auch für Teile der Migration, der Integration und der Rückkehrförderung zuständig ist.
  3. der starke Anstieg der Asylantragszahlen ab 2012, zuerst aus den Westbalkanstaaten und 2015/16 vorwiegend aus Syrien und Irak.
  4. die Zuwanderung der ukrainischen Geflüchteten ab März 2022, bei deren Registrierung das Bundesamt die Länder tatkräftig unterstützt hat und für die das Integrationsangebot ausgeweitet wurde.

Das Bundesamt hat diese Bewährungsproben bestanden, wie es auch im Bereich Humanitäre Aufnahme und Resettlement als zweite Säule des Flüchtlingsschutzes und im Bereich Fachkräftezuwanderung (beginnend mit der Forscherzuwanderung) seit 2007 eine wichtige Rolle spielt. Das Bundesamt, das seit 2018 von Präsident Hans-Eckhard Sommer geleitet wird, der die Bund-Länder-Zusammenarbeit nochmals intensiviert hat, hat gezeigt, dass es als Kompetenzzentrum für Migration, Integration und Flüchtlingsschutz und als flexible Behörde auch in der Zukunft eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zuwanderung und der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts spielen kann. Um bei der Fachkräfteeinwanderung erfolgreich zu sein, wird es z.B. darauf ankommen, passende Informations- und Integrationsangebote bereitzustellen. Hier wird das Bundesamt auch in der Zukunft gemeinsam mit anderen Akteuren in der Bundesregierung seinen Beitrag leisten.

Dieser Beitrag von BAMF-Vizepräsident Dr. Michael Griesbeck ist als Editorial im Heft 10 2023 der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik – ZAR bei beck-online erschienen.