Marina Schmoll bei #BAMFzeigtGesicht , Datum: 20.09.2019, Format: Interview, Bereich: Behörde

Seit Oktober 2016 arbeitet Marina Schmoll in der BAMF-Außenstelle Zirndorf als Sonderbeauftragte für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Sie entscheidet über Asylverfahren von unbegleiteten Minderjährigen als Expertin für Länder Syrien, Ukraine und Irak. Zum heutigen Deutschen Kindertag berichtet sie bei #BAMFzeigtGesicht über die täglichen Herausforderungen ihrer Arbeit mit oftmals traumatisierten Minderjährigen.

Wie unterscheiden sich Asylverfahren unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter zu denen Erwachsener?

Marina Schmoll: "Inhaltlich kaum, aber formal, denn Kinder und Jugendliche sind nicht verfahrensfähig. Normalerweise werden sie von ihren Eltern gesetzlich vertreten. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete kommen aber ohne Eltern zu uns. Das heißt, es muss per Gerichtsbeschluss ein Vormund bestellt werden, meist ist das jemand vom Jugendamt. Die ganze Kommunikation – von der Antragsstellung bis zum Beschluss – läuft dann nicht über den Asylsuchenden, sondern über den Vormund. In einer Anhörung sitzen dann neben mir bis zu vier Personen in meinem Büro: der Asylsuchende, der Vormund, der Sprachmittler und in der Regel noch eine betreuende Person aus der Jugendeinrichtung. Die Betreuung steht den Minderjährigen in dieser Ausnahmesituation bei und beruhigt sie."

Unterscheiden sich die Fluchtursachen von Minderjährigen zu denen Erwachsener?

Marina Schmoll: "Teils teils. Viele Jugendliche tragen Fluchtgründe vor, die sich nicht von denen Erwachsener unterscheiden. Auch Kinder fliehen vor Konflikten, durch die ein Leben im Heimatland unmöglich geworden ist. Es gibt aber auch kinder- und jugendspezifische Fluchtgründe, zum Beispiel die Genitalverstümmelung. Von ihr sind in den afrikanischen Ländern leider noch immer sehr viele Mädchen betroffen. Daneben gibt es Zwangsehen. Es kommen aber auch ehemalige Kindersoldaten oder Minderjährige, die vor häuslicher Gewalt geflohen sind oder die zur Kinderarbeit gezwungen wurden. Finden diese Kinder bei ihren Bezugspersonen keine Unterstützung, sind sie oftmals schutzlos."

Wie gehen Sie persönlich mit den emotionalen Anforderungen in Ihrem täglichen Arbeitsgeschäft um? Gibt es einen Fall, der Sie besonders berührt hat?

Marina Schmoll: "Ich erinnere mich an einen Jungen, der war 16 Jahre alt. Er hat beide Elternteile auf der Flucht auf hoher See verloren. Solche Fälle gehen mir natürlich sehr nah. Ich wäre kein Mensch, wenn mich diese Sachverhalte nicht persönlich berühren würden. Nichtsdestotrotz versuche ich, die in den Anhörungen geschilderten Sachverhalte nicht mit nach Hause zu nehmen. Ich denke, dass man nur mit einem gesunden Abstand stark genug bleiben kann, um sich dieser Fälle in der täglichen Arbeit anzunehmen. Der Selbstschutz ist notwendig, da die Fälle teilweise wirklich an die Nieren gehen."

Welche besonderen Herausforderungen bringt die Arbeit mit Kindern mit sich?

Marina Schmoll: "Wer selber Kinder hat, weiß, dass man für Kinder vor allem Geduld braucht. Dies gilt umso mehr für die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, die auf sich allein gestellt zu uns kommen. Sie sind oftmals von der Flucht oder auch von den Erlebnissen im Heimatland traumatisiert. Viele ziehen sich zurück und wollen nicht über das reden, was ihnen widerfahren ist. Da gilt es in der Anhörung eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Meine Aufgabe ist es ja, den Sachverhalt zu erforschen, also das Verfolgungsschicksal desjenigen, der vor mir sitzt."

Wie schaffen Sie es, dass sich die Kinder und Jugendlichen in der Anhörungssituation öffnen?

Marina Schmoll: "Die Kinder sind ganz verschieden - manche erzählen sehr offen über ihre Erlebnisse, andere ziehen sich zurück. In solchen Fällen muss ich mir etwas einfallen lassen. Wenn ein Jugendlicher vor mit sitzt, der über das, was er erlebt hat, nicht sprechen kann, dann lasse ich ihn die Dinge aufmalen. Ich hatte damit schon sehr gute Erfolge. Wenn ich Kinder hier habe, die sich nicht konzentrieren können, dann lege ich eine Pause ein. Oder ich gebe ihnen einen Knautschball in die Hand, um den Bewegungsdrang ein bisschen in den Griff zu bekommen. Da gilt es manchmal improvisieren zu können."