"Irgendwann hat es 'klick' gemacht!" , Datum: 01.08.2019, Format: Interview, Bereich: Behörde

Vor zwölf Jahren kam der Iraker Abbas Khidhir als Flüchtling nach Deutschland, lernte selbstständig die deutsche Sprache und fand seine Berufung als Lehrer wieder - heute unterrichtet er selbst als Kursleiter in Integrationskursen. Wir haben mit ihm über seinen Weg bis hierher und seine Erfahrungen in den Kursen gesprochen.

Wie haben Sie Deutsch gelernt und wie sind Sie selbst dazu gekommen, Deutsch zu unterrichten?

Abbas Khidhir: "Als ich vor 12 Jahren aus dem Irak als Flüchtling nach Deutschland kam, hatte ich keine Ahnung, wie das hier alles läuft. Und die Menschen, die ich damals kannte, hatten mit den Integrationskursen auch keine großen Erfahrungen. Weil ich nicht lange warten wollte, habe ich mir einfach die Bücher von der Stadtbibliothek ausgeliehen und immer zuhause gelernt. Ich wusste damals nicht, dass es verschiedene Sprachniveaus gibt, die man erreichen "kann". Nach einiger Zeit hatte ich einfach das Gefühl: ich bin gut – oder zumindest hatte ich das geglaubt.

Außerdem hat es irgendwann bei mir "klick" gemacht und ich wusste: ich möchte selber Deutsch unterrichten! Ich habe im Irak an einem Gymnasium als Lehrer für Hocharabisch gearbeitet – und wer einmal als Lehrer gearbeitet hat, glaube ich, der möchte das für immer machen. So ist zumindest meine Einstellung. Dann habe ich einfach beim Goethe-Institut angerufen und gefragt: "Welche Zertifikate gibt es bei Ihnen?" Die Mitarbeitenden haben erst ein bisschen gelacht und dann geantwortet: "Es gibt Sprachniveaus von A1 bis C2, für ein Studium benötigt man C1". Da habe ich gesagt: "Okay, ich habe nicht vor zu studieren, ich habe bereits ein abgeschlossenes Studium. Ich möchte mich einfach für die C1-Prüfung anmelden, da ich ein Zertifikat für dieses Niveau möchte." Dann wurde ich gefragt, ob ich bereits ein Zertifikat hätte, das mir das Sprachniveau B1 oder B2 bescheinigt. Das hatte ich natürlich nicht. Also sollte ich erst eingestuft werden in B2 oder B1 Plus – so hieß es damals – und dann erst sollte ich die C1-Prüfung ablegen. Das wollte ich aber nicht, sondern ich wollte die Prüfung sofort machen. Ich habe es dann einfach riskiert und auf Anhieb bestanden."

Und danach haben Sie direkt in Integrationskursen unterrichtet?

Abbas Khidhir: "Um als Integrationslehrer arbeiten zu dürfen, benötigt man ein Studium Deutsch als Fremd- oder Zeitsprache oder aber man kann – sofern man einen Hochschulabschluss hat – über den Weg einer Zusatzqualifizierung das erforderliche Wissen erwerben. Die Zertifizierung zur "Fachkraft Deutsch und Integration" (auch DaF-Allrounder genannt) habe ich beim Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) gemacht, das hat ungefähr 6 bis 7 Monate gedauert. Wenn man, wie ich, bereits eine moderne Sprache studiert hat, bekommt man direkt danach vom BAMF eine Zulassung.
Aktuell bin ich Lehrer in einem Jugendintegrationskurs und in einem Allgemeinen Integrationskurs, beide von der Initiativgruppe München. Ich kann mich gut in die Situation der Teilnehmenden hineinversetzten, da ich, als ich nach Deutschland gekommen bin – wie die ganzen Teilnehmenden meiner Kurse – ganz von Anfang an begonnen hatte."

Ein Mann steht vor einem Gebüsch. Quelle: BAMF

Wie ist Ihre Erfahrung als Lehrkraft bisher, sind die Teilnehmenden motiviert?

Abbas Khidhir: "Die Menschen, die, wie ich damals auch, geflüchtet sind, fragen oft: Warum ist es wichtig, die Sprache zu lernen? Oftmals erhalten sie nur die Antwort: "Weil Sie in Deutschland sind!" Ich glaube, für mich ist es einfacher, diese Frage zu beantworten.

Ich kann ihnen anhand meiner Geschichte zeigen, warum es für mich so wichtig war, Deutsch zu lernen, und was ich dadurch erreicht habe. Ich kann die Teilnehmenden motivieren, weil ich ihnen alle Vorteile aufzeigen kann. Sie sehen meine Lebensgeschichte und das spornt sie an. Aber trotzdem sind die Menschen natürlich alle sehr unterschiedlich, wie es die Einheimischen eben auch sind. Es gibt immer Teilnehmende, die würden statt 4 Stunden gerne 8 Stunden täglich kommen und lernen. Sie sind super motiviert und wollen etwas erreichen – wie sie es auch in ihrer Heimat getan haben oder wollten.

Natürlich gibt es auch Teilnehmende, zum Beispiel bei den Jugendlichen, die Druck von Zuhause bekommen haben und hierhergeschickt wurden. Manche benötigen die Sprachkenntnisse dringend für ihre Arbeit oder die Niederlassungserlaubnis. Die Gründe, einen Integrationskurs zu besuchen, sind ganz unterschiedlich, genauso wie die Motivation der Teilnehmenden zu Beginn des Kurses. Sie zu motivieren, in dem Kurs zu bleiben und etwas zu lernen, ist Teil meiner Arbeit. In meinem Abendkurs sehe ich zum Beispiel eine großartige Entwicklung. Als die Teilnehmenden am Anfang über ihre Zukunft gesprochen haben, haben 90 Prozent gesagt: "Wir wollen B1 machen und danach nichts mehr!" Jetzt ging der Kurs zu Ende und von 22 Personen wollen 20 für das Sprachniveau B2 weitermachen. Ich denke, was ich ihnen vermitteln wollte, ist also tatsächlich angekommen."

Gibt es auch mal Schwierigkeiten?

Abbas Khidhir: "Ja, klar. Das ist wie in der Ehe: ich habe mit meiner Frau auch ab und zu Probleme, wenn man sich jeden Tag sieht (lacht) – das ist vollkommen normal. Hinzu kommt natürlich, dass es in den Kursen verschiedene Kulturen gibt. Die Teilnehmenden haben unterschiedlich geprägte Persönlichkeiten, andere Erfahrungen oder Sichtweisen. Ein Beispiel: Wir haben einen neuen Teilnehmer bekommen. Wie es bei uns üblich ist, haben wir ihn willkommen geheißen und er hat sich vorgestellt. Als er sagte, dass er aus Syrien sei, hat ein russischer Teilnehmer gesagt: "Oh, Syrien! Schön! Assad ist ein super Mann!" Der andere Teilnehmer hat sofort geweint. Er hatte durch das Regime einen Teil seiner Familie verloren. Das scheint natürlich erst einmal unreflektiert von dem russischen Teilnehmer gewesen zu sein. Aber woher sollte der Mann wissen, wie die Situation in Syrien tatsächlich ist? Ich habe dann sofort eine kurze Pause eingelegt, bin mit beiden nach draußen gegangen und habe ihnen erklärt, wie es zu dieser Situation hat kommen können. Nach 5 Minuten haben sie sich die Hand gegeben und inzwischen sind sie beste Freunde. Als Lehrkraft müssen wir uns auch mit solchen Themen und Situationen auseinandersetzen und über die Unterschiede in den Kulturen sprechen – und darüber, dass Vielfalt das Leben miteinander erst richtig interessant macht. Schwierigkeiten gibt es immer, aber es gibt immer auch Lösungen."