Dossier: EMN-Tagung unbegleitete Minderjährige , Datum: 27.07.2018, Format: Dossier, Bereich: Behörde

Volljährig – und dann? , Datum: 27.07.2018, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Drei Frauen und ein Mann sitzen auf einem Podium und diskutieren. Die Panel-Teilnehmenden v.l.: Marion Lich (Büro für Rückkehrhilfe der Stadt München), Kjell-Terje Torvik (Einwanderungsbehörde Schweden), Kirsten Eichler (GGUA e.V.) und Moderatorin Paula Hoffmeyer-Zlotnik (deutsche EMN-Kontaktstelle) Quelle: BAMF

Bleibeperspektive durch Ausbildung und Integration? Herausforderungen und Chancen bei unsicherem Aufenthaltsstatus

Kirsten Eichler von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V. eröffnete das dritte Panel und gab einen rechtlichen Überblick zu Bleibeperspektiven nach der Volljährigkeit. Diese Frage der Aufenthaltsperspektive stellt sich insbesondere bei jenen vormals unbegleiteten Minderjährigen, die nach der Ablehnung ihres Asylantrags volljährig werden oder keinen Asylantrag gestellt hatten, denn mit Erreichen der Volljährigkeit endet das Abschiebungshindernis, das für unbegleitete Minderjährige gilt.

Eine Frau spricht an einem Rednerpult Kirsten Eichler, Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA) e.V. Quelle: BAMF

Verschiedene Optionen der Aufenthaltssicherung

Zu den Möglichkeiten der Aufenthaltssicherung abseits des Asylverfahrens gehören laut Eichler fünf Optionen:

  • eine Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende (§ 25a AufenthG),
  • eine Aufenthaltserlaubnis bei nachhaltiger Integration (§ 25b AufenthG),
  • eine Aufenthaltserlaubnis in Härtefällen (§ 23a AufenthG),
  • eine Duldung (gem. § 60 Abs. 2 AufenthG) oder Aufenthaltserlaubnis wegen eines Ausreisehindernisses (§ 25 Abs. 5 AufenthG) oder
  • eine Ausbildungsduldung (gem. § 60a Abs. 2 Satz 4ff. AufenthG) und anschließende Aufenthaltserlaubnis (§ 18a Abs. 1a AufenthG).

Eichler erläuterte anschließend die jeweiligen Erteilungsvoraussetzungen und ging bei der noch recht jungen Regelung der Ausbildungsduldung detaillierter auf Chancen und Herausforderungen ein. Positiv hervorzuheben sei, dass die Ausbildungsduldung die Chance auf einen dauerhaften Aufenthalt ermöglicht und es keiner bestimmten Voraufenthaltszeiten bedarf. Allerdings beinhalte die Regelung zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, die zum Teil zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen dem Bundesinnenministerium (BMI) und den Bundesländern sowie zu unterschiedlicher Rechtsprechung der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte führten, so Eichler.

Erfahrungen aus der Rückkehrberatung mit unbegleiteten Minderjährigen und jungen Volljährigen

Marion Lich, Leiterin des Büros für Rückkehrhilfen der Stadt München, schilderte anschließend ihre Erfahrungen aus der Rückkehrberatung mit unbegleiteten Minderjährigen und jungen Volljährigen. Die öffentliche und politische Diskussion konzentriere sich meist auf die zwei Optionen Integration oder Abschiebung, dabei sei auch eine freiwillige Rückkehr möglich.

Beim Büro für Rückkehrhilfen betreffe dies zwar nur etwa zwei bis fünf unbegleitete Minderjährige pro Jahr, aber 10-15 Prozent aller Beratungsfälle seien vormals unbegleitete Minderjährige, die volljährig geworden seien. Oft werden diese von Verwandten zur Rückkehr ins Herkunftsland aufgefordert. Das Büro versuche dies dann zu ermöglichen und durch diverse Unterstützungsleistungen zu fördern. So könne teilweise ermöglicht werden, dass junge Rückkehrende sich selbstständig machen, ein Studium aufnehmen oder fortführen, zur Schule gehen oder eine Ausbildung zu Ende machen. Auch um die Weiterbehandlung von Krankheiten im Herkunftsland kümmere sich das Büro, falls nötig. Auch können vor der Ausreise aus Deutschland Weiterqualifizierungen vermittelt werden oder auch Sprachkurse für Kinder, die die Herkunftssprache nicht oder nicht mehr sprechen. Wichtig sei auch, dass im Herkunftsland Organisationen existierten, die die Reintegration unterstützen und die wiederum im Kontakt mit Rückkehrberatungsstellen in Deutschland stehen.

"Für eine gelungene freiwillige Rückkehr braucht es unabhängige Beratung und ausreichend Zeit." Marion Lich

Was im Rückkehrprozess oftmals unterschätzt werde, sei der Kulturschock nach der Rückkehr. Die Jahre des Aufenthalts in Deutschland haben gerade die jungen Rückkehrenden geprägt und die Lebensumstände vor Ort unterscheiden sich teils stark. Ein weiteres Problem bestehe bei Jugendlichen, die in das vermeintliche Herkunftsland zurückkehren, die jedoch selbst in einem anderen Staat aufgewachsen sind. Dies betreffe vor allem junge Afghanen, die vielfach im Iran geboren und groß geworden sind, der sie jedoch nicht zurückkehren lässt. Afghanistan ist für sie folglich ein unbekanntes Land und sie brauchen entsprechend gute Vorbereitung. Aufgrund dieser und weitere Fallstricke, braucht es laut Lich zwingend unabhängige Rückkehrberatungsstellen, die ergebnisoffen beraten können, sich die Zeit für die Vorbereitung nehmen und individuelle sowie professionelle Unterstützungspakete entwickeln. Die in Deutschland diskutierte Idee, Rückkehrberatung zur freiwilligen Rückkehr auf die Ausländerbehörden zu übertragen, lehnt Lich daher ab. Ausländerbehörden könnten in der Regel nicht ergebnisoffen beraten.

Die schwedische Perspektive auf Rückkehr und Reintegration von unbegleiteten Minderjährigen und jungen Erwachsenen

Eine Mann spricht in ein Mikrofon Kjell-Terje Torvik, Abteilung für Qualitätssicherung der Einwanderungsbehörde Schwedens (Migrationsnetzwerk) Quelle: BAMF

Kjell-Terje Torvik von der Abteilung für Qualitätssicherung der Einwanderungsbehörde Schwedens (Migrationsverket) stimmte Marion Lich in seinem Vortrag zu und berichtete aus seiner Erfahrung als europäischer Verbindungsbeamter für Rückkehrfragen (European Return Liaison Officer) in Afghanistan. In Afghanistan hat er die Maßnahmen von Organisationen und Behörden koordiniert, die Rückkehrende begleiten. Für das Gelingen einer Rückkehr und der Reintegration seien die Vorbereitung der Rückkehrenden und die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure die zentralen Faktoren. Personen, die nur wenige Tage Zeit hatten, sich auf die Rückkehr einzustellen, hätten vor Ort oft mehr Schwierigkeiten, als Personen, die sich auf die Rückkehr vorbereiten konnten beziehungsweise durch Programme und Beratungsstellen auf die Rückkehr vorbereitet wurden. Viele der unterstützten freiwilligen Rückkehrenden würden in die Selbständigkeit gehen und Kleinstunternehmen starten.

"Damit Rückkehr gelingen kann, braucht es schon in Schweden einen Plan B." Kjell-Terje Torvik

Erfahrungen mit Rückkehr nach Afghanistan

Es sei im Übrigen auch ein expliziter Wunsch der afghanischen Regierung, die darum bittet, die Rückkehrenden vorzubereiten und ihnen etwas an die Hand zu geben, um die Reintegration zu erleichtern. Problematisch sei hingegen, dass innerhalb der EU teils sehr unterschiedliche Unterstützungsleistungen gewährt würden – teils in Sachleistungen (in-kind support), in anderen Fällen bekämen die Rückkehrenden teils aber auch mehrere Tausend Euro in bar (in-cash support). Dies führe vor Ort und unter den Rückkehrenden zu Unverständnis. Torvik plädierte dafür, dass Unterstützungsleistungen idealerweise auf EU-Ebene harmonisiert werden.

Blätterfunktion

Inhalt

  1. Europäische Zusammenarbeit und Integration
  2. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf EU-Ebene
  3. Unterbringung, Versorgung und Betreuung
  4. Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit
  5. Volljährig – und dann?
  6. Ressourcen, Zeit und Professionalität