Dossier: EMN-Tagung unbegleitete Minderjährige , Datum: 27.07.2018, Format: Dossier, Bereich: Behörde

Europäische Zusammenarbeit und Integration , Datum: 27.07.2018, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Eine Frau spricht an einem Rednerpult Renate Leistner-Rocca, Leiterin des BAMF-Forschungszentrums, eröffnete die Veranstaltung. Quelle: BAMF

Renate Leistner-Rocca, Leiterin des BAMF-Forschungszentrums, unterstrich bei ihrer Begrüßungsrede die Bedeutung des europäischen Austauschs in Fragen der Migrations- und Asylpolitik und auch hinsichtlich besonders schutzbedürftiger Personengruppen wie unbegleiteten Minderjährigen. Zwar seien unbegleitete Minderjährige schon seit geraumer Zeit Thema in Politik, Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und Wissenschaft, jedoch seien sie durch die hohen Zugangszahlen auch unbegleiteter Minderjähriger in den Jahren 2015 und 2016 noch einmal zusätzlich in den Fokus geraten.

Ziel der Konferenz sei es, auf die letzten Jahre zurückzublicken und zu eruieren, wie sich Politik und Praxis auf die veränderte Situation eingestellt haben und welche Herausforderungen zukünftig bestehen. Zugleich sollen Antworten auf die Fragen gegeben werden, welche Perspektiven unbegleitete Minderjährige bei Eintritt in die Volljährigkeit haben, seien es Bleibe- oder Rückkehrperspektiven. Zudem sollen Erkenntnisse zu Radikalisierungstendenzen unter jungen Geflüchteten und potenzielle Präventionsmaßnahmen besprochen werden.

Eine Mann spricht an einem Rednerpult Michael Tetzlaff, BMI, betonte, dass der Fokus in Deutschland bei unbegleiteten Minderjährigen von Beginn an auf der Integration liege, da ein Großteil zumindest bis zur Volljährigkeit in Deutschland verbleibe. Quelle: BAMF

"Wir müssen uns an dem Anspruch messen lassen, jedem Einzelnen gerecht zu werden.“

In seinem Eröffnungsimpuls konstatierte Michael Tetzlaff, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, dass die Verwaltung in Deutschland nicht ausreichend auf den starken Anstieg der Fluchtmigration in den Jahren 2015 und 2016 vorbereitet gewesen sei, sowohl hinsichtlich der Fluchtmigration im Allgemeinen als auch in Bezug auf unbegleitete Minderjährige im Speziellen. Der Anspruch sei gewesen, sich am Einzelfall und den individuellen Bedarfen zu orientieren. Das sei in den vergangenen Jahren aber besonders schwer und nur mit einer außerordentlichen Kraftanstrengung aller beteiligten Akteure zu bewältigen gewesen.

Fokus liegt auf Integration

In der Folge beschrieb Tetzlaff die konkreten Verfahrensregelungen zur Unterbringung, Versorgung und Betreuung, zum Asylverfahren sowie zu Integration und Rückkehr von unbegleiteten Minderjährigen. „Die Bedeutung des Kindeswohls“, betonte Tetzlaff, „spiegelt sich bereits in dem auf sie anwendbaren Recht wider.“ Rechtlich fallen unbegleitete Minderjährige bis zur Volljährigkeit unter das Kinder- und Jugendhilferecht und werden wie andere minderjährige Personen entsprechend des regulären Jugendhilfesystems untergebracht, versorgt und betreut. Ihre Betreuung und Versorgung hängt somit nicht in erster Linie von der Entscheidung über ihren aufenthaltsrechtlichen Status ab. Auch bei einem abgelehnten Asylantrag werden unbegleitete Minderjährige zwar wie Erwachsene ausreisepflichtig, in der Praxis jedoch in der Regel nicht abgeschoben. Dies liegt daran, dass sich die abschiebenden Behörden vor der Rückführung vergewissern müssen, „dass der Minderjährige im Rückkehrstaat an ein Familienmitglied, eine sorgeberechtigte Person oder an eine geeignete Aufnahmeeinrichtung übergeben wird“ und sich diese Vergewisserungspflicht als kaum erfüllbar erweist. Auch freiwillige oder unterstützte Ausreisen kommen vergleichsweise selten vor: „Insgesamt sind von 2013 bis 2017 nur 385 unbegleitete Minderjährige mit der Rückkehrförderung des REAG/GARP-Programms freiwillig ausgereist“, so Tetzlaff. Ein Großteil der unbegleiteten Minderjährigen verbleibe folglich bis mindestens zur Volljährigkeit in Deutschland, weshalb der Fokus auch von Beginn an auf die Integration der Kinder und Jugendlichen gelegt werde.

Familiennachzug und Altersfeststellung

Tetzlaff ging anschließend aus Sicht des Bundesinnenministeriums auf zwei, wie er sagte, in Politik und Öffentlichkeit umstrittene Regelungen ein: den Familiennachzug zu unbegleiteten Minderjährigen mit subsidiärem Schutzstatus sowie die Altersfeststellung. Bezüglich ersterem werde der seit März 2016 ausgesetzte Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ab dem 1. August 2018 wieder gestattet, allerdings mit einer Begrenzung von 1.000 Familienangehörigen monatlich. Das sei für die einen nicht ausreichend und gehe für die anderen zu weit, so Tetzlaff. Hinsichtlich der Altersfeststellung sei die Debatte jüngst von einzelnen „spektakulären Kriminalfällen“ in Deutschland geprägt, bei denen sich im Verfahren herausstellte, dass die Täter als unbegleitete Minderjährige galten, jedoch nicht minderjährig waren. Die Behörden müssten jedoch Klarheit über das Alter haben, auch weil unbegleiteten Minderjährigen gewisse Privilegien gegenüber Volljährigen zustehen, was auch Ressourcen in Anspruch nehme. Aus diesem Grund seien bereits 2015 die Jugendämter zur Altersfeststellung während der vorläufigen Inobhutnahme verpflichtet worden. „Allerdings besteht diesbezüglich noch eine ganz unterschiedliche Praxis in den Bundesländern“, so Tetzlaff. Die neue Bundesregierung plane daher, das Verfahren weiter zu vereinheitlichen.

Mit einer persönlichen Anmerkung schloss Tetzlaff seinen Vortrag:
„Der politische Diskurs um asylsuchende Menschen und unbegleitete Minderjährige hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt und die öffentliche Wahrnehmung ist Schwankungen unterworfen. Der mediale wie auch der politische Diskurs sieht oft nur das Extreme.“

"Aus diesem Grund ist es wichtig, stets den Versuch zu unternehmen, nicht nur einen Blickwinkel einzunehmen, sondern den Blick zu weiten, da wir nur so zu sachgerechten Urteilen und Entscheidungen kommen können. Das Europäische Migrationsnetzwerk leistet hierzu einen wichtigen Beitrag: Durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit hoch politischen Themen, weiten Sie unseren Blick. Schaffen im wahrsten Sinne Überblick. Über die Flüchtlingspolitik in Deutschland und die der anderen Mitgliedstaaten. Dafür danke ich.“
Michael Tetzlaff

Blätterfunktion

Inhalt

  1. Europäische Zusammenarbeit und Integration
  2. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf EU-Ebene
  3. Unterbringung, Versorgung und Betreuung
  4. Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit
  5. Volljährig – und dann?
  6. Ressourcen, Zeit und Professionalität