Dossier: Freiwillige Rückkehr im europäischen Kontext , Datum: 10.07.2017, Format: Dossier, Bereich: Behörde

Reintegrationsprogramme für den Neustart im Herkunftsland , Datum: 10.07.2017, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Vier Männer sitzen im Halbkreis auf einer Bühne. Panel III Reintegration, die Speaker v. l.: Po-Ling Ho (Ministerium für Sicherheit und Justiz der Niederlande), Dr. Sarah Tietze (IOM), Peter Bonin (GIZ) und Moderator Janne Grote (EMN-Kontaktstelle) Quelle: BAMF | L. Thiem

Im dritten Panel ging es um Beispiele bewährter Praktiken, neuer Ansätze und Vorschläge, wie eine Reintegration gelingen kann und Reintegrationsprogramme gestaltet werden können.

Dr. Sarah Tietze von der IOM Informations- und Rückkehrberatungsstelle in Berlin und Brandenburg stellte das Projekt Reintegration Vietnam vor. Über das Projekt konnten in den vergangenen Jahren 70 meist ausreisepflichtige und zuvor teils irregulär in Deutschland aufhältige Vietnamesinnen und Vietnamesen bei ihrer Rückkehr nach und Reintegration in Vietnam unterstützt werden. Im Rahmen des Reintegrationsprojektes wurden gemeinsam mit den Teilnehmenden vor ihrer Rückkehr Zukunftspläne erstellt, wobei die Beratung ergebnisoffen war und nach Wunsch anonym erfolgte. Eine vietnamesisch sprechende Beraterin wurde dazu als Mitarbeiterin und Mittlerin des Projekts in Deutschland eingestellt (‚Native Counsellor‘). Um die Zielgruppe über die Rückkehrförderung und -beratung zu informieren, wurde im Vorfeld ein Runder Tisch mit relevanten vietnamesischen Migrantenselbstorganisationen durchgeführt sowie kontinuierlich an relevanten Orten der vietnamesischen Community in Berlin Informationsarbeit geleistet, um Vertrauen aufzubauen und Gerüchten sowie betrügerischen "Beratern" zuvorzukommen[LLD.

In Vietnam standen pro Rückkehrer 2.000 Euro in Sachleistungen für die wirtschaftliche Reintegration zu Verfügung, die unter anderem zur Existenzgründung, Aus- und Weiterbildung, medizinischen Versorgung oder für Wohnraum genutzt werden konnten. Der Großteil der Beteiligten entschied sich für die Selbständigkeit und gründete beispielsweise Imbissküchen, einen Computerladen oder handelt mit Gasflaschen. Die beruflichen Erfahrungen und Qualifikationen seien berücksichtigt und die Familien der Rückkehrer von Beginn der Rückkehrplanung an mit einbezogenworden. Gerade dieser Aspekt sei wesentlich, da mitunter Unverständnis über die Rückkehr und soziale Stigmatisierung herrsche, die Familie aber auch bei Existenzgründungen und der Informationsbeschaffung über wirtschaftliche Betätigungsfelder vor Ort von großer Bedeutung sei. Nach sechs und 12 Monaten nach der Rückkehr fand ein Monitoring statt. "Bei Reintegration gibt es bisher aber oft zu wenig Monitoring", stellte Dr. Tietze fest.

Eine Frau spricht an einem Rednerpult Dr. Sarah Tietze (IOM) gibt zu bedenken, dass allgemeiner Druck auf eine schnelle Ausreise nicht immer hilfreich sei. Quelle: BAMF | L. Thiem

Allgemein sei Druck auf eine schnelle Ausreise nicht immer hilfreich, so Dr. Tietze. "Wir sollten darüber nachdenken, ob wir Reintegrationsprogramme nicht sowohl auf weitere Herkunftsländer als auch auf Personen ausweiten sollten, die über keine anerkannte Schutzberechtigung verfügen, denn auch sie haben Bedarfe und benötigen Beratung und Begleitung." Das Projekt Reintegration Vietnam ist ein gelungenes Beispiel, das über fünf Jahre von den Bundesländern Berlin und Brandenburg, dem Europäischen Rückkehrfond (ERF) und dem Asyl-, Migrations-, und Integrationsfonds (AMIF) gemeinsam gefördert wurde. "Wir haben mit unserem Projekt, aber auch weiteren Projekten in vielen Kommunen und Bundesländern positive Erfahrungen mit Reintegrationsprogrammen gemacht, diese werden durch ERIN gut ergänzt aber nicht ersetzt", resümierte Dr. Tietze. Leider werde das Reintegrationsprojekt Vietnam künftig auf Länderebene mit Ausweitung des European-Reintegration-Network-Programmes (ERIN) nicht weiter gefördert.

Gemeinsamer europäischer Ansatz mit Australien

Das ERIN-Programm unterstützt sowohl freiwillige Rückkehrer als auch zwangsweise Rückgeführte bei ihrer Reintegration in ihren Herkunfts- oder in Drittländern, so Po-Ling Ho, Ministerium für Sicherheit und Justiz der Niederlande, in ihrem Vortrag. Damit sollen Doppelstrukturen innerhalb Europas in Zukunft vermieden werden. Beteiligt sind 17 EU-Länder und Australien unter Federführung der Niederlande sowie 20 Drittländer, darunter Afghanistan, Bangladesch, Irak, Marokko, Nigeria, Pakistan sowie Somalia, Libyen und Äthiopien. Beteiligt sind außerdem lokale Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs), die IOM und Caritas.
Die Rückkehrer werden in den beteiligten Mitgliedsländern über den Rückkehr- und Reintegrationsprozess beraten. Ziel sei es, ihnen im Herkunftsland den Zugang zu einer Ausbildung oder den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. ERIN konzentriere sich auf die individuelle Wiedereingliederung, neben Jobs gebe es auch psychologische Unterstützung für die Rückkehrer. Ein Teil der ERIN-Projekte beinhalte dabei auch ein Monitoring, bei dem vor und nach der Rückkehr die Rückkehrenden den beteiligten Organisationen Auskunft über die Qualität der Beratung und Verbesserungsmöglichkeiten geben.

Eine Frau spricht an einem Rednerpult Po-Ling Ho berichtet über erste Erfahrungen mit dem ERIN-Programm in Somalia. Quelle: BAMF | L. Thiem

Ho fasste anschließend die ersten Erfahrungen eines Reintegrationsprogramms im Rahmen von ERIN in Somalia zusammen. Eine zentrale Herausforderung habe darin bestanden, dass die somalische Regierung Rückkehrer mit der Begründung zunächst nicht wieder aufnehmen wollte, es handele sich um Kriminelle oder Krankheitsfälle, die die somalische Gesellschaft belasten würden.In Gesprächen mit Vertretern des Außenministeriums sowie den zuständigen Ministerien war deshalb Überzeugungsarbeit zu leisten, so dass im Anschluss die ersten Somalier zurückkehren konnten.

Bei der anschließenden Diskussion mit dem Publikum erläuterte Ho auch die Finanzierung der lokalen Dienstleister: "Wir bezahlen pro Rückkehrer eine Gebühr und erhalten dafür Geld von der EU-Kommission."

Entwicklungspolitik und Reintegration

Peter Bonin vom Sektorvorhaben Migration der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), sprach über entwicklungsorientierte und entwicklungssensible Reintegration. Die GIZ GmbH unterstützt als Dienstleister der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung unter anderem die Bundesregierung (über das BMZ als Gesellschafter) bei der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Ihre Programme berücksichtigen schon lange rückkehrinteressierte Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchtete, allerdings mit einem Fokus auf Fachkräfte, die für temporäre oder dauerhafte Aufenthalte in ihre Herkunftsländer vermittelt werden. Durch die Dynamik der vergangenen Jahre, mit der Vielzahl an Geflüchteten und abgelehnten Asylantragstellenden, sei nun eine neue Zielgruppe in den Fokus geraten: ausreispflichtige Personen, die mitunter zwangswiese rückgeführt werden müssten und nicht mehr freiwillige rausreisten. Dieser Umstand stelle die Rückkehrprogramme im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit vor neue Herausforderungen. Ziel müsse es allerdings weiter sein, Prinzipien einer entwicklungssensiblen Rückkehr zu berücksichtigen. Laut Bonin zähle hierzu eine nachhaltige Reintegration der Rückkehrer, die durch einen bedarfsorientierten und zielgruppenspezifischen Ansatz geprägt sein müsse, das ‚Do-No-Harm‘-Prinzip der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt und sowohl die Gesellschaft als auch die regionalen Bedingungen und Gemeinden in den Herkunftsländern in die Programmausrichtungen mit einbezieht. Die Programme müssten zudem sowohl strukturelle und langfristige Prozesse im Blick haben als auch soziale und psychologische Unterstützung unmittelbar nach der Rückkehr bieten. Letztlich dürfe nachhaltige Reintegration jedoch nicht mit Immobilität beziehungsweise der Verhinderung einer Weiterwanderung gleichgesetzt werden beziehungsweise dies als alleiniger Erfolgsfaktor des Rückkehrprozesses verstanden werden.

Ein Mann spricht an einem Rednerpult Peter Bonin (GIZ) spricht über entwicklungsorientierte Reintegration. Quelle: BAMF | L. Thiem

Die Überlegungen würden unter anderem in das neue Rückkehrprogramm ‚Perspektive Heimat‘ einfließen, das in Zusammenarbeit vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dem Bundesministerium des Innern (BMI) durchgeführt wird. Im Fokus stehen Länder aus denen eine hohe Anzahl an Asylsuchenden mit geringer Bleibeperspektive nach Deutschland gekommen sind. Das Programm umfasst sowohl die Rückkehrberatung in Deutschland als auch die Reintegration im Herkunftsland, die durch Trainings und Qualifikationsmaßnahmen, Unterstützung bei der Jobsuche und Unternehmensgründung sowie die Gewährung von Kleinkrediten ermöglicht werden soll. Insgesamt sind für das Programm 150 Mio. Euro vorgesehen, wovon 50 Mio. Euro für 2017 veranschlagt sind.

"Reintegration braucht Zeit und kostet Geld", betonte Bonin. Die Kosten seien höher als bisher, "aber ich glaube, dass das notwendig ist und wir damit langfristig einen wichtigen Beitrag leisten werden." Noch steckt das Projekt in den Kinderschuhen, "aber der Schuster ist unter Hochdruck an der Arbeit", so Bonin.

Blätterfunktion

Inhalt

  1. Freiwillige Rückkehr im Fokus Europäischer Migrationspolitik
  2. Programme deutscher und europäischer Rückkehrpolitik
  3. Nachhaltige Rückkehr als multidimensionaler Prozess
  4. Rückkehrberatung: Pilotprojekte und Best-Practice
  5. Integriertes Rückkehrmanagement: Die Rolle von Rückkehrberatung, freiwilliger Rückkehr und Reintegration
  6. Reintegrationsprogramme für den Neustart im Herkunftsland
  7. Aus Erfahrung lernen