Dossier: Freiwillige Rückkehr im europäischen Kontext , Datum: 10.07.2017, Format: Dossier, Bereich: Behörde

Integriertes Rückkehrmanagement: Die Rolle von Rückkehrberatung, freiwilliger Rückkehr und Reintegration , Datum: 10.07.2017, Format: Meldung, Bereich: Behörde

Drei Männer und eine Frau sitzen nebeneinander im Halbkreis auf einer Bühne. v. l.: Dan Rotenberg (Europäische Kommission), Dr. Patrick Schmidtke (BAMF-Rückkehrreferat), Roger Steiner (Staatssekretariat für Migration der Schweiz) und Moderatorin Corinna Wicher (BAMF-Gruppenleiterin Internationale Aufgaben) Quelle: BAMF | L. Thiem

Im Panel II erörterten Experten, welche Stellschrauben im Prozess der Rückkehr für einen reibungsloseren Ablauf entscheidend sind. Dabei wurde deutlich, dass sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene eine effektive Verzahnung verschiedener Instrumente bei der Rückkehr ein wichtiger Erfolgsfaktor ist.

Informationsoffensive und Integriertes Rückkehrmanagement

Dr. Patrick Schmidtke, Leiter des Referats Rückkehr im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, stellte Maßnahmen zum Integrierten Rückkehrmanagement auf Bundesebene vor. Deutschland hat mit dem Programm StarthilfePlus, einer bundesweiten Rückkehrhotline und dem Internetportal Returning from Germany seit Anfang 2017 eine Vielzahl von Initiativen ergriffen, um potenzielle Rückkehrwillige zu erreichen und über die Möglichkeiten einer freiwilligen Rückkehr sowie der Rückkehrberatung zu informieren. Ziel des Bundesamtes ist es, alle Asylantragstellenden möglichst frühzeitig über die Möglichkeiten einer freiwilligen Rückkehr zu informieren, abgestimmt auf ihr jeweiliges Herkunftsland und in der Muttersprache. Diese Information muss jedoch unabhängig und ergebnissoffen geschehen und ersetzt nicht die Beratung, da das Bundesamt zur Neutralität verpflichtet ist: "Ziel ist es nicht, die Menschen zu einer Rückkehr zu bewegen, noch bevor die Fluchtgründe angehört worden sind. Die Menschen sollen wissen, wohin sie sich wenden können, wenn sie eine freiwillige Rückkehr in Erwägung ziehen", so Dr. Schmidtke.

Ein Mann spricht an einem Rednerpult Dr. Patrick Schmidtke stellt die neuen Informationsangebote und Rückkehrprogramme des Bundesamtes zur freiwilligen Rückkehr vor. Quelle: BAMF | L. Thiem

Er sprach außerdem über die zahlreichen Herausforderungen für die nahe Zukunft: Förderprogramme gebe es von Bund, Ländern und Kommunen. Unter anderem wegen der komplexen Strukturen falle es nicht leicht, die passenden Informationen zu finden. Das sei schon für Eingeweiht nicht einfach. "Wie schwer muss es dann jemandem fallen, der mit dem Gedanken zur Rückkehr spielt, aber der deutschen Sprache nicht mächtig ist", gab Dr. Schmidtke zu bedenken. Um hier Abhilfe zu schaffen, habe das Bundesamt gemeinsam mit der International Organization for Migration (IOM) das Informationsportal zu freiwilliger Rückkehr Returning from Germany, entwickelt. Dort könne sich jeder über Rückkehrberatungsstellen, passende Programme und Informationen zu den Herkunftsländern informieren. Außerdem wurde eine Rückkehrhotline nach dem Vorbild Großbritanniens eingerichtet. Davon sollen vor allem ländlichen Regionen profitieren. Auch die Hotline solle die Beratungsstellen ergänzen, nicht ersetzen.

"Wir brauchen schnellere Verfahren und mehr Koordination"

Ein Mann spricht an einem Rednerpult Dan Rotenberg fordert eine ehrgeizige Analyse der Situation. Quelle: BAMF | L. Thiem

Dan Rotenberg, stellvertretender Leiter des Referats Irreguläre Migration und Rückkehr der Europäischen Kommission, übte mit seinem Vortrag "Der Weg nach vorn - Effiziente Umsetzung von Rückkehrmaßnahmen in der EU" Selbstkritik: Das EU-System der Rückführung von Personen ohne Aufenthaltsrecht sei nicht effektiv genug – und das trotz der Tatsache, dass die EU bereits 2015 einen Aktionsplan zur Rückkehr verabschiedet hat, dessen Maßnahmen zum großen Teil umgesetzt wurden. Die Gründe für den Misserfolg der Rückkehrpolitik sieht die EU-Kommission sowohl außerhalb als auch innerhalb der EU: Beispielsweise in der mangelnden Kooperation der Herkunftsstaaten, aber auch in den Asylsystemen der Mitgliedstaaten und der nicht immer konsequenten Durchsetzung der Ausreisepflicht. In den vergangenen zwei Jahren habe sich die Situation in Europa zudem dramatisch verändert: 2015 und 2016 seien rund 2,6 Millionen Geflüchtete in die EU gekommen, die Anerkennungsrate liege bei 50 bis 60 Prozent. Mehr als eine Million Menschen müssten also in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Das seien viel mehr als früher. "Deshalb müssen wir unsere Handlungsweisen neu betrachten", so Rotenberg. "Wir brauchen schnellere Verfahren, einen multidimensionalen Ansatz und eine bessere Koordination sowohl in als auch zwischen den Mitgliedsstaaten." Hierzu hat die EU-Kommission im März 2017 einen erneuten Aktionsplan veröffentlicht und spezifische Empfehlungen an die Mitgliedstaaten gerichtet, darunter die verstärkte Nutzung der Abschiebungshaft zur Durchsetzung der Rückkehr. Auch der Missbrauch von Asylverfahren müsse verhindert werden. Mangelnde Kooperation durch Herkunftsstaaten müsse EU-weit dokumentiert und die Informationen zwischen Mitgliedstaaten ausgetauscht werden. Im Bereich der freiwilligen Rückkehr sei vor allem der Austausch von Best-Practice Beispielen und die Harmonisierung der verschiedenen Förderprogramme wichtig, um Anreize für ein "return shopping" zu vermindern.

Skeptisch zeigte sich Rotenberg bei der Frage, ob die EU-Rückführungsrichtlinie reformiert werden sollte: "Mit der großen Zahl an Ausreisepflichtigen, die wir in den kommenden Monaten haben werden, sind wir in einer Art Notsituation, auf die wir jetzt reagieren müssen. Um es klar zu sagen: Eine Reform der Richtlinie würde Jahre dauern. Das würde den Mitgliedstaaten in der jetzigen Situation nicht helfen."

Qualitäts- und Effizienzsicherung im Schweizer Modell

Ein Mann spricht an einem Rednerpult Roger Steiner erklärte, wie wichtig aber auch schwierig das Monitoring über den Vollzug der Rückkehr in der Schweiz ist. Quelle: BAMF | L. Thiem

Roger Steiner, Staatssekretariat für Migration der Schweiz, sprach über "Qualität und Effizienz im Kontext eines integrierten Rückkehrmanagements". Für Steiner gehören Anreizsysteme für die freiwillige Rückkehr und ein glaubwürdiger Vollzug von Abschiebungen zusammen: Beides sei ohne die Existenz des Anderen schwieriger. Auch in der Schweiz ist die Vielzahl an Akteuren jedoch eine Herausforderung. Steiner erläuterte, die Probleme, die es in der Schweiz bei einem geplanten Monitoring über den Vollzug der Rückkehr gegeben habe. Der Bundesrat (die Schweizer Bundesregierung) wollte mit dem Monitoring Problemfelder aufdecken und für größtmögliche Transparenz sorgen, aber auch einen Vergleich zwischen den Kantonen ermöglichen. "Zwar forderten Bund und die Kantone ein Vollzugsmonitoring, es gab aber keinen Konsens, wie das aussehen soll", so Steiner. Ein weiteres Vorhaben ist die Erstellung von Qualitätsstandards für die Rückkehrberatung, die eine einheitliche Beratung in der ganzen Schweiz garantieren sollen. In einem ersten Zwischenbericht wurden Effizienz- und Qualitätskriterien definiert. Die endgültigen Ergebnisse würden Ende 2017 erwartet. "Wir sind fest davon überzeugt, dass ein effizientes und qualitativ hochwertiges Rückkehrsystem, sowohl im Vollzug als auch in der Beratung, ganz wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Rückkehrpolitik beiträgt", schloss Roger Steiner seinen Vortrag.

Diskussion

Dr. Stefan Dünnwald, Bayerischer Flüchtlingsrat und Pro Asyl, wollte von den Vortragenden bei der Diskussionsrunde wissen, wie man mit Menschen umgehe, die in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollen, die Herkunftsländer aber nicht kooperieren: So gebe es allein in Bayern mehrere Tausend Senegalesinnen und Senegalesen, die nicht zurückgeführt werden können, da die senegalesischen Behörden nicht kooperierten. In jüngster Zeit betreffe dies zunehmend auch abgelehnte afghanische Asylsuchende. Ein Teil der betroffenen Personen würde in andere EU-Mitgliedstaaten weiterreisen und untertauchen. Sie würden ein Leben in der Illegalität dem Leben in der Ausreisepflicht – ohne rückgeführt werden zu können –, vorziehen. Ein Leben in der Illegalität gehe jedoch mit einer höheren Vulnerabilität, Prostitution, Kriminalität und möglicherweise auch Radikalisierung einher. "Müssten die Programme zur assistierten Ausreise und Reintegration nicht entsprechend attraktiver gestaltet werden, um eine echte Alternative darzustellen?", so Dünnwald.

Steiner stimmte zu, dass die Weiterwanderung innerhalb Europas ein Problem sei. Gerade deshalb brauche es eine internationale Zusammenarbeit und einen ganzheitlichen Ansatz. "Wenn jeder Nationalstaat nur seine eigenen Programme verfolgt, wird das schwierig", sagte Steiner.

Dr. Schmidtke betonte bezüglich der Reintegrationsprogramme, dass es richtig sei, weiter zu überlegen, wie beispielsweise Ausreisepflichtigen eine echte Perspektive in ihren Herkunftsländern ermöglicht werden könne. "Es wäre zu kurz gedacht, wenn wir glauben würden, freiwillige Rückkehr ist abgeschlossen, sobald die Menschen im Flugzeug sitzen." Die Programme zur freiwilligen Rückkehr müssten idealerweise so gestaltet sein, dass sie nicht aufgrund von Zwang sondern aus eigener Motivation in Anspruch genommen würden. In Deutschland habe deshalb das Bundesministerium des Innern gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Initiative Perspektive Heimat gestartet – ein Reintegrationsprogramm, das einen entwicklungssensiblen Ansatz der Rückkehr implementieren soll. Für Kosovo gebe es das Reintegrationsprogramm URA, in zahlreichen weiteren Drittstaaten gebe es Programme im Rahmen des Reintegrationsprogramms ERIN (European Reintegration Network), für den Senegal gebe es ein solches Programm jedoch nicht.

Die europäische Kommission sei sich ebenfalls über das Problem der Weiterwanderung als auch der fehlenden Nachhaltigkeit und Remigration nach der Rückkehr bewusst, so Rotenberg. Die Kommission untersuche das bereits und suche nach Lösungen. Dabei brauche es wohl auch Druck auf die Herkunftsländer, die bisher die Kooperation beziehungsweise Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen verweigerten. Auch hier könne die gemeinschaftliche Arbeit im Rahmen von ERIN behilflich sein, da eine gemeinsame Position gegenüber einzelnen Herkunftsländern größeres Gewicht entfalten könne, als wenn jeder Mitgliedstaat einzeln an ein Herkunftsland herantrete.

Blätterfunktion

Inhalt

  1. Freiwillige Rückkehr im Fokus Europäischer Migrationspolitik
  2. Programme deutscher und europäischer Rückkehrpolitik
  3. Nachhaltige Rückkehr als multidimensionaler Prozess
  4. Rückkehrberatung: Pilotprojekte und Best-Practice
  5. Integriertes Rückkehrmanagement: Die Rolle von Rückkehrberatung, freiwilliger Rückkehr und Reintegration
  6. Reintegrationsprogramme für den Neustart im Herkunftsland
  7. Aus Erfahrung lernen