Aus der Praxis: Im Gespräch mit Anne Ernst , Datum: 24.09.2020, Format: Artikel, Bereich: Integration

Im Interview mit Frau Anne Ernst erläutert die Fachbereichsleiterin Flüchtlingshilfe und Integration bei den Johannitern das Besondere an den Kursen und schildert Ihre Erfahrungen mit den Teilnehmenden.

Was ist für Sie das Besondere an den Erstorientierungskursen?

Ernst: Das Besondere an den Erstorientierungskursen ist, dass wir sehr früh mit den neu in Deutschland angekommenen Menschen in Kontakt kommen. Unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben viele Fragen, wie Deutschland funktioniert, und sind sehr offen für alle Informationen über das Zusammenleben und die Strukturen an ihrem neuen Wohnort. Aus Sicht der Lehrkräfte ist das Besondere auch die große Heterogenität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen Herkunftsländern, Kulturen und mit sehr unterschiedlicher Schulbildung. Dazu kommt der ständige Wechsel an Teilnehmenden in den Kursen – täglich kommen neue hinzu, andere verlassen die Unterkunft und damit den Kurs. Ich habe einen großen Respekt für die Lehrkräfte, die die Kurse täglich mit großem Engagement und viel Freude gestalten.

Welche Themen interessieren die Teilnehmer*innen Ihrer Erfahrung nach besonders und warum?

Ernst: Die Teilnehmer*innen sind zunächst natürlich mit den rechtlichen Fragen ihres Aufenthalts befasst. Darüber hinaus interessieren sie sich für alle Themen, die ihren unmittelbaren Alltag betreffen, und wollen die entsprechende Sprachkompetenz erwerben. Wie funktioniert das Einkaufen, wie bekomme ich einen Termin beim Arzt, welche Behörde ist für was zuständig, wie bekommt mein Kind einen Platz in der Schule? Hinzu kommen die Themen aus den Bereichen Werte und Zusammenleben, die in den Kursen lebhaft diskutiert werden. Viele sind überrascht, wie viele Gemeinsamkeiten sich in den Kulturen ihrer Heimatländer und Deutschland finden lassen. Die Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit oder Gleichstellung der Geschlechter sind auch in fast jeder Stunde ein Thema.

Haben sich die Interessen seit Beginn der Kurse verändert?

Ernst: Wir haben mit der Zeit ein größeres Interesse von Frauen mit Kindern wahrgenommen, an Frauenkursen mit Kinderbetreuung teilzunehmen. Die Frauen sind vielleicht schon länger in Deutschland, konnten aber bisher noch kein Schulungsangebot wahrnehmen. Ansonsten sammeln die Lehrkräfte zunehmend Erfahrungen dazu, wie sie mit den Teilnehmenden ins Gespräch kommen und herausfinden, was diese wirklich bewegt.

Welche Wirkung erzielen die Kurse aus Ihrer Sicht?

Ernst: Die Kurse geben den Teilnehmer*innen eine Tagesstruktur, sie fördern soziale Kontakte und das friedliche Zusammenleben in den Unterkünften. Ebenso wichtig ist, dass die Menschen handlungsfähig werden. Sie können sich mit einfachen Sätzen ausdrücken und können ihren Alltag zumindest teilweise selbst organisieren. Dies stärkt das Selbstbewusstsein, schafft positive Momente und Erfolgserlebnisse.