Zu Besuch im Erstorientierungskurs in Wiesbaden , Datum: 24.09.2020, Format: Artikel, Bereich: Integration

Ich bin in Deutschland, meine Freundin ist in der Heimat geblieben. Jetzt hat sie mich verlassen,

erzählt der junge Mann mit einem verkniffenen Gesicht. Weil sie das Warten leid war, hat sie schließlich jemanden anderen geheiratet. Eigentlich geht es heute in dem Erstorientierungskurs in Wiesbaden um das Thema Gesundheit. Ahmed hat dies aber zum Anlass genommen, über einen ganz anderen Schmerz zu sprechen. 'Ich habe Liebeskummer' schreibt der Lehrer Jochen Enders schließlich an die Tafel. "So wie heute läuft es häufig in den Kursen ab. Wir machen nicht nur Unterricht. Die Schülerinnen und Schüler erzählen auch von ihren Problemen und was sie beschäftigt", sagt Enders.

Erstorientierungskurse wie den von Jochen Enders fördert das Bundesamt seit August 2016. Die Kurse richten sich an Asylbewerberinnen und -bewerber, die weder einen Zugang zu den Integrationskursen haben, noch aus einem sicheren Herkunftsland stammen. Für diese Zielgruppe gab es zuvor kein bundesweit einheitliches Angebot. Die Kurse basieren auf dem Konzept 'Erstorientierung und Deutsch lernen für Asylbewerber', welches das Bundesamt 2013 in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration entwickelt hat. Ziel des Konzepts ist es, Asylbewerberinnen und -bewerbern landeskundliches Wissen und Deutschkenntnisse für den Alltag zu vermitteln. Es besteht aus insgesamt elf Modulen, die Themen wie Einkaufen, Öffentliche Verkehrsmittel oder eben Gesundheit behandeln. Aus dem Konzept können für einen Kurs fünf Module passend zu den Bedarfen der Gruppe ausgewählt werden. Das sechste Modul, 'Werte und Zusammenleben', ist dagegen verpflichtend durchzuführen. Außerdem gibt es in jedem Modul eine Exkursion.

Eine Gruppe von Menschen steht vor einem Geländer Lehrer Jochen Enders (vorne links) besuchte mit seinem Kurs den Wiesbadener Kurpark Quelle: priva

Da habe auch ich als Lehrkraft viel gelernt

Der Wiesbadener Kurs besuchte beispielsweise ein Filmfestival und schaute sich gemeinsam die Dokumentation 'Raving Iran' an. Der Film erzählt die Geschichte zweier DJs, die im Iran auflegen, wo House und Techno verboten sind, und die schließlich überlegen, aus dem Land zu fliehen. "Wir hatten danach lebhafte Diskussionen zum Thema Freiheit und dem Leben in Deutschland im Vergleich zum Leben im Iran. Da habe auch ich als Lehrkraft viel gelernt", erinnert sich Enders. Gerade wenn es um Werte gehe, komme es auf Austausch an und weniger auf Belehrung.

Erstorientierungskurse gibt es im gesamten Bundesgebiet. Bisher konnten 91.041 neue Teilnehmende mit einem Erstorientierungskurs erreicht werden (Stand: 30.06.2020).